PORTRAIT sentipost nr. 3/15– 6 – Auch Strassen haben viel zu erzählen … Manche heissen schlicht und einfach Müller oder Meier, und bisweilen tragen auch Strassen solch unauffällige Namen. Unsere ist in der Tat unscheinbar, imm er- hin schreibt sie sich ganz edel mit ‹ee- üppsilon›, wie der erste Verleger des Lu - zerner Tagblatts, Xaver Meyer jun., oder der langjährig im Quartier ansässige Jour - nalist Peter A. Meyer oder auch die Gebr. Meyer (heute Seven-Air), alle vorne an der Baselstrasse. Aber die Meyerstrasse in der Sentimatt hat ihren Namen von ei - ner anderen Luzerner Berühmtheit (his - to rische Hintergründe nebenan). Für eine Annäherung an das heutige Quar - tier strassenleben mache ich zu nächst ei - nen Check auf der Plattform Telsearch: Von den 17 Funden gehören zwölf zu kan- tonalen Verwaltungsstellen im sog. Kopp- Haus! Gewohnt wird offenbar nur im ganz vordersten Haus. Aber das kann ja nicht alles gewesen sein – wie ein kleiner Spaziergang sogleich be stätigt. Wenn ich von der Hochschule Design und Kunst herkommend in die Meyerstrasse einbiege, sehe ich links deren Modell - werk statt und rechts die soeben leer ge - wordenen Räume der BSL Ticketprint (früher Schill), und dann fällt der Blick linkerhand auf ein Bild von Frida Kahlo. Wie mir Benny Egli freundlich erläutert, hat er dort neben seinem Atelier das Frida-Kahlo-Gärtchen angelegt, wo er sich regelmässig und gerne zum Lesen zurückzieht. Seit 14 Jah ren ist er hier, dem Postboten zuliebe hat er seinen Brief - kasten halt vorne an der Damm strasse – ach so. Er ist Maler und Aus stel lungs - macher, sein Leben bestreitet er vor allem mit der Erarbeitung und Begleitung von Wanderausstellungen (z.B. jene über den Regenwurm, die auch im Natur-Museum war). Welchen Bezug hat er zum Quartier und zur Meyerstrasse? «Der Name sagt mir nicht viel, aber ich war seit der Kunsti-Zeit meistens auf di eser Seite der Stadt, und es gefällt mir ausserordent- lich hier», antwortet Benny und fügt an: «Wenn ich hier raus müsste, könn te ich es vergessen, ich würde in der Stadt nichts mehr finden.» Ein paar Schritte weiter liegt rechts der unsinnigste Gehsteig von ganz Europa: Nur Liliputaner können dort vor dem blauen Haus ungehindert passieren. Span nender ist es gegenüber, wo sich Werkstätten und Ateliers aufreihen. Ich klopfe bei Carmen Boog, einer jungen Textildesignerin, die vor zwei Jahren die HSLU abgeschlossen hat und nun seit Oktober hier ihr Atelier hat. Eine In du - striestickmaschine steht parat für Auf - trä ge, Carmen fertigt Tücher, T-Shirts und Pullover an, sie bleicht und stickt, montiert ihr Label und verkauft hier auch. «Mir gefällt es hier sehr», sagt sie, «das Atelier hat Charme und strahlt et - was Einzigartiges aus.» An der Meyer - strasse gefalle ihr zudem die zentrale Lage, ausserdem sei hier der Preis noch zahlbar für eine Berufseinsteigerin. Schon länger im Geschäft ist David Szarka. Auch seine ‹Werkstatt für Be - leuch tung› findet sich nicht an der Meyer strasse, denn sein Präsenta tions - raum ist vorne an der Sentimattstrasse – Pech für das Renommee der Meyerstrasse. David ist seit ungefähr zwölf Jahren hier. «Weisst du, ich orientiere mich am Vorne», sagt er lachend, «was in meinem Rücken li egt, vergesse ich gerne.» Er ent- wirft Lampen und ganze Beleuchtungs - konzepte, momentan ist er mit vier gros- sen Projekten gut ausgelastet, u.a. für ein Restaurant in Neuenkirch, aber auch «für einen Russen» in Zug. Ihm gefällt die Nähe zum Fluss und zum Zentrum, auch die gute Erreichbarkeit von Autobahn und z.B. Lieferanten im Littauerboden ist ihm wich tig. «Aber anfänglich waren die Leute entsetzt über meine Lokal-Wahl – ausgerechnet in die Slums gehst du, pro- testierten sie», erzählt David. Und dann war erst noch das damalige Nachbarhaus (wo heute der blaue Quader steht) grad besetzt. Seit kurzem wohnt er selber im Quartier, mit zweien seiner Töchter. Er schätzt das Multikulturelle und Nicht- Sterile hier. Noch ist die kurze Strasse nicht zu Ende, aber der verfügbare Platz … Den Tanz raum von Romana Frasson muss ich eben so überspringen wie das Rest. Reuss - fähre und die Kleintierpraxis St. Karlihof, wobei anzufügen ist, dass sich alle drei eben nicht mit den Federn der Meyer - strasse schmücken, sondern mit jenen ihrer grösseren Schwestern, der Damm - strasse (siehe Sentipost Nr. 21/2004) und der Sentimattstrasse. Fortsetzung folgt. Portrait einer unscheyn - baren Quartierstrasse von Urs Häner