Liebe Leserin, lieber Leser Das Jahr 2010 wurde von der Euro- päischen Union zum Jahr zur Be- kämpfung der Armut und Ausgren- zung ausgerufen. Zudem ist der 17. Oktober der internationale Tag der Armut. Die Sozialhilfestatistik des Bun- desamtes für Statistik zeigt Er- schreckendes: Fast drei Prozent der Schweizer Wohnbevölkerung haben im Jahr 2008 wirtschaftliche Sozial- hilfe bezogen. In dieser Ausgabe zeigt die Gasse- Ziitig auf, was es bedeuten kann, arm zu sein. Betroffen von Armut sind häufig auch Personen mit ei- ner Suchterkrankung. Und un- ter ihrer Armut leiden besonders auch die Kinder, die mit ungleich schlechteren Karten ins Leben star- ten müssen, als die meisten ihrer Klassenkameradinnen und -kame- raden. Lösungen für solch prekäre Situationen sind meist schwierig zu finden. Umso mehr benötigen diese Menschen unsere Hilfe. Dabei geht es um finanzielle Unterstützung ge- nauso wie um die Begleitung bei der Budget- und Lebensplanung. Wir danken für Ihr Interesse sowie Ihre Solidarität und wünschen eine spannende Lektüre. Ihre GaZ-Redaktion Verkauf in Stadt und Agglomeration LuzernSeptember 2010, Nr. 43 Auflage: 9 000 www.gassenarbeit.ch Mitgearbeitet haben: Andi H., Andrea, Beatrice, Dominik A., Donati, Fritz, Jeremy, Kurt B., Roger J., Ricardo, Thomas O., Walter, Jan Bühlmann, Ruedi Meier, Team Paradiesgässli, Ute Studer-Merkle Armut in der Schweiz, auch in Lu- zern? Dies wird häufig bestritten und zwar darum, weil die Armut heute kaum mehr sichtbar ist. Die Sozialdienste von Kirchen, Ge- meinden und Städten, aber auch von privaten Organisationen ma- chen allerdings andere Erfah- rungen. Es gibt sehr viele Leute, die nur über ein sehr kleines Ein- kommen verfügen. Dies bedeutet, dass sie auf vieles, sehr vieles ver- zichten und sich bescheiden müs- sen. Armut bei uns heisst nicht gleich Hunger, mangelnde Klei- dung, kein Obdach – auch wenn es dies auch gibt! Armut heisst bei uns oft, auf Wich- tiges verzichten, sich mit schlech- ter Qualität begnügen und sich stark einschränken müssen. Die Wohnung ist klein, schattig und an einem lärmbelasteten Ort gele- gen. Die Nahrungsmittel sind zwar kostengünstig, aber fettreich, vi- taminarm und ungesund. Der Be- such von Sport- und Kulturveran- staltungen oder die Mitgliedschaft in einem Verein sind zu teuer und liegen kaum drin. Eltern können die Kinder schulisch nicht unter- stützen und insgesamt kaum för- dern. Kinder müssen unpassende Kleider tragen und haben kaum Bücher oder Spielzeuge. Alte Leute verzichten auf Spitexleistungen, Haushilfe usw. Familienarmut gleich Kinderarmut Besonders gravierend ist die Ar- mut bei den Kindern. Im Kanton Luzern sind 18 Prozent aller Al- leinerziehenden auf Sozialhilfe angewiesen; rund 8'600 Personen – davon 2'670 Kinder unter 18 Jahren – müssen mit Sozialhilfe unterstützt werden. Darunter sind auch die Workingpoor-Familien, das heisst, obwohl die Eltern ar- beiten, reicht das Einkommen nicht aus, die Familie durchzu- bringen. Ein Missstand! Viele Kinder aus armen Familien werden zu wenig gefördert, ihre Chancen, im Leben – in Schule, Beruf und im Privaten – zu reüs- sieren, sind stark eingeschränkt. Vor diesem Hintergrund besteht die Gefahr, dass die Kinder die Armut sozusagen «lernen». Kinder aus ar- men Familien haben das Risiko, selber wieder in Armut zu fallen. Familienpolitik verhindert Armut Vor diesem Hintergrund ist eine umfassende Familienpolitik, die Armut nicht nur lindert, sondern präventiv verhindert, besonders wichtig. Fünf politische Hand- lungsweisen stehen dabei im Vor- dergrund: • Kinder aus einkommensschwa- chen Familien müssen in der Schule besonders gefördert und unterstützt werden. Dabei ist der Ausbau der frühkindlichen För- derung – Kindertagesstätten und Spielgruppen – besonders wichtig. • Jugendliche aus armen oder ar- mutsgefährdeten Familien brau- chen bei der Berufswahl, bei der Lehrstellensuche und beim Ein- stieg ins Berufsleben besondere Unterstützung. • Über gute Kinder- und Ausbil- dungszulagen kann die finanzielle Situation von armen Familien ver- bessert werden. • Familien mit Kindern gehören nur in Ausnahmefällen in die So- zialhilfe. Gleich wie Ergänzungs- leistungen für Betagte braucht es auch Ergänzungsleistungen für einkommensschwache Familie. Es darf nicht sein, dass Workingpoor oder Alleinerziehende aufs Sozial- amt müssen. • Ein ausgebautes und erschwing- liches Angebot an Betreuungs- plätzen (Tagesfamilien, Kinderta- gesstätten, Hort/Schulbetreuung) ermöglicht den Eltern zu arbeiten und so ihre Existenz über eine Er- werbstätigkeit zu sichern. Es ist offensichtlich: Eine Politik, die die Armut präventiv zu ver- hindern sucht, setzt bei den Fa- milien an, denn Kinder sind unser Kapital, unsere Zukunft. Und dies sollten wir uns unbedingt auch et- was kosten lassen. Ruedi Meier Stadtrat, Sozialdirektor der Stadt Luzern Armut Vreni und Andrea erzählen, wie sie und ihre Kinder mit wenig Geld durchs Leben kommen müssen. Seite 3 Sie ist zwar kaum sicht- bar, doch Armut existiert auch hier. Stadtrat Ruedi Meier zeigt auf, wie sie aussieht und was eine gute Familienpolitik dagegen unternehmen könnte. Bild: GaZ Ob das Geld noch reicht für die notwendigen «neuen» Schuhe aus dem Broki? Ein Zimmer... Ein Zimmer im Wohnhaus an der Murbacherstrasse brach- te etwas Ruhe ins Leben von Christian. Seite 8 Mister Schweiz Mister Schweiz Jan Bühlmann besuchte die GasseChuchi – und war sehr positiv überrascht. Seite 5 Armut? Das gibt’s. Auch in Luzern! Seite 4 Gassenarbeit Dank der aufsuchenden Sozial- arbeit hat H. es geschafft, wie- der Tritt zu fassen im Alltag.