Seite 5 Nr. 45 Mai 2011 GasseZiitigLozärn Arbeit als Stallknecht im Knast Im Frühling 1989 hatte ich einen Verkehrsunfall, der mein ganzes Leben veränderte. Ich war Beifah- rerin in einem PW und wir erlit- ten einen Auffahrunfall. In die- sem Moment meinte ich, ich hätte einen Genickbruch. Ich war nicht angegurtet und deshalb prallte ich mit dem Kopf in die Front- scheibe, die zersplitterte. Ich verletzte mich dabei an mei- nen Halswirbeln (Schleudertrau- ma). Leider wurden die Sofort- behandlung nicht richtig und die Abklärungen nicht seriös ge- macht. Danach hatte ich immer wieder Schmerzen und Verspannungen im Genick. Trotzdem konnte ich weiter im Alters- und Pflegeheim arbeiten und meinen Alltags- pflichten nachgehen. Nach der Pflege arbeitete ich in der Ergo- therapie, wo es mir sehr gut ge- fiel. Manipulation an den Halswirbeln Ich bekam aber immer heftigere Kopfschmerzen, auch während der Arbeit. Deshalb wollte ich meinen Hausarzt aufsuchen. Der war aber in den Ferien und ich musste zum Stellvertreter. Ohne die Röntgenbilder anzusehen und ohne Informationen über meinen gesundheitlichen Zustand machte dieser eine einmalige Manipu- lation an den Halswirbeln, was bei mir zu einer totalen Blocka- de am ganzen Körper führte. Als ich die Arztpraxis verlassen hatte, konnte ich den Kopf nicht mehr nach rechts und links drehen und ich spürte die kleinste Erschüt- terung. Busfahren war die Hölle. Ich konnte die ganze Nacht vor Schmerzen nicht schlafen und am nächsten Tag war es auch nicht möglich, an die Arbeit zu gehen. Ich rief den Stellvertreter meines Hausarztes nochmals an und fragte ihn, was er mit mir ge- macht habe. Er sagte, ich solle vorbeikommen, er gebe mir Cor- tison und einen Halskragen. Ich wünschte, dass er mich ins Pa- raplegikerzentrum in Nottwil einweise. Dort behandelte man mich wohl, doch man glaubte mir nicht, dass der Arzt einen Fehler gemacht hatte. Kein Arzt wollte gegen den Stellvertreter meines Hausarztes aussagen, man un- terschob mir, dass ich psychische Probleme hätte. Auch ein Anwalt konnte mir nicht weiterhelfen. Mit Drogen gegen die Schmerzen Ich konnte nicht mehr arbeiten. Während eines Jahres habe ich noch Lohn erhalten, dann war niemand mehr für mich zustän- dig. Ich musste mich beim Sozi- alamt anmelden und damit ging mein Leben bergab. In meiner Verzweiflung nahm ich den Weg des Drogenkonsums (Heroin). Die Drogen nahmen mir die Schmer- zen, im Leben brachten sie mich nicht weiter. Im Gegenteil, ich hatte noch mehr Probleme. Aber heute weiss ich, dass es diese Jah- re auch gebraucht hat und dass sie zu meinem Leben gehören. Als ich mich wieder für das Leben entschied und aus meinem Elend aussteigen wollte, entschied ich mich für das Methadonprogramm. Es gelang mir, mich wieder in das alltägliche Leben zu integrieren, ich konnte mich wieder meiner Familie widmen. Das Leben hatte mich wieder, dies war mir die Mo- tivation, das Methadon zu redu- zieren. Seit sechs Jahren habe ich überhaupt kein Methadon mehr, vor elf Jahren habe ich das letzte Mal Drogen genommen. Aber mit einem Schlag waren die Schmerzen, die während diesen Jahren wenig spürbar gewesen waren, wieder da! Wie jetzt wei- ter? Drogen und schmerzfrei oder Schmerzen ohne Drogen? Heute habe ich sporadisch immer noch sehr starke Klusterkopfschmer- zen mit Trigeminusneuralgie. In diesen schlechten Zeiten kann ich nichts mehr machen, keinen Haushalt, kein Busfahren. Ich bin total auf Hilfe von anderen ange- wiesen, was für mich sehr schwer ist zu akzeptieren. In diesen Mo- menten habe ich auch schon Selbstmordgedanken gehabt oder wollte wieder Drogen nehmen. Der Ratschlag: Drogen nehmen Ich meldete mich bei der IV an und hoffte auf Hilfe. Ich wollte am Alltag wieder teilnehmen, ar- beiten und mich in die Berufswelt integrieren. Doch wer nimmt mich nach zehn Jahren Absenz? Eine Ex-Drogensüchtige mit Schmer- zen? Nach sechs Jahren Abklä- rungen bei der IV, vielen ver- schiedenen Ärzten, Therapien und Gutachten, bekam ich im letzten Jahr eine Absage. Mir wurde ge- sagt, dass ich zu 100 Prozent leichte Arbeit ausführen könne. Dies heisst, keine Rente, aber Ar- beitsintegration. Ich hatte seit über zehn Jahren ein Arztzeugnis, das mir 100-prozen- tige Arbeitsunfähigkeit beschei- nigte, aber niemanden geht es etwas an. Ich war zur Integration bereit. Doch leider klappte der erste Ar- beitsversuch nicht. Ich musste mit einem Schleudertrauma im Mini- mum drei Arbeitstage pro Woche in der Küche arbeiten – dies ging gar nicht. Danach fiel ich psy- chisch in ein Loch, ich haderte mit mir. Das erste Mal in meinem Leben brauchte ich einen Psychi- ater. Danach ging es nicht lange und die körperlichen Schmerzen kamen wieder. Weil ich starke Schmerzen hatte, ging ich zum Hausarzt und schilderte ihm mei- ne Verzweiflung: «Am liebsten würde ich sterben oder wieder Drogen nehmen!» Darauf meinte er, er könne mich in die Psychiat- rie einweisen oder ich solle doch wieder Drogen (Heroin) nehmen. Das war eine Kehrtwendung in meinem Leben. Ich fragte mich, auf was kommt es an in dieser Ge- sellschaft. Sein oder nicht sein? Drogen zu nehmen, das hat mir als erstes der Hausarzt geraten. Der nächste Arzt wollte mir keine starken Schmerzmedikamente ge- ben, weil ich Drogen genommen hatte. Und die Sachbearbeiterin der IV meinte, es wäre doch das Beste, wenn ich wieder Drogen nehmen würde. Neue Ziele für die Zukunft Dieser unmenschliche Umgang mit mir hat mich veranlasst, die- sen Artikel zu schreiben. Die Ge- sellschaft fordert Integration, doch mir gibt sie keine Möglich- keit, mich in der Arbeitswelt zu integrieren. Früher war ich in der Schublade «Junkies» versorgt; heute gibt es keine Schublade mehr für mich. Und ehrlich ge- sagt, möchte ich auch in keiner Schublade mehr sein. Ich denke, wenn wir die Menschlichkeit ver- loren haben, dann haben wir al- les verloren. Ansehen, Geld und Ruhm sind vergänglich. Ich habe den Frieden für mich gefunden, indem ich den Kampf, mich in diese Gesellschaft zu integrieren, aufgegeben habe. Seither geht es mir sehr gut. Dafür habe ich viele Erkenntnisse daraus gezogen. Auf der ganzen Welt reden wir von Menschenrechten, aber was ist mit der Schweiz? Mehr Schein als Sein! Ich möchte trotzdem al- len Menschen Mut machen, an sich selber zu glauben. Alles ist möglich, auch aus einer Sucht auszusteigen und auch wenn es viele Hindernisse gibt. Ja, ich habe viel erreicht und meine Ziele für die Zukunft sind: Meine Ge- sundheit annehmen und ein Buch über mein Leben schreiben. Es lohnt sich immer! Lara *Name geändert Seit einem Unfall leidet Lara* an Kopfschmer- zen. Eine Zeitlang hat sie diese mit Heroin bekämpft. Nun erhält sie weder Rente noch Arbeit. Ein Leben mit Schmerzen Chronische Schmerzen belasten einen nicht nur im Alltag. Sie können auch sehr einsam machen. Bild: Fotolia