GasseZiitigLozärn huus bietet der Verein Jobdach die Möglichkeit, sich längerfristig in einer Wohnung aufzuhalten und fördert dabei auch die Wohnkom- petenzen. Mit den Einkommensverwaltungen des Teams Gassenarbeit und des Paradiesgässli vom Verein Kirch- liche Gassenarbeit verhindern wir, dass die Miete zu spät bezahlt wird. Zudem werden Wohnngs- und Ob- dachlose z.T. bei der Wohnungs- suche unterstützt. Obdachlosigkeit besser bekämpfen Wer tagtäglich mit diesen Men- schen im Kontakt ist, ihre Not wahrnimmt, auf ihre Stimmen hört, muss nach Lösungen suchen. Daher erlaube ich mir hier drei mögliche Lösungswege zu skizzieren. Notlösungen anbieten Die Not-Schlafstelle ist bereits eine Not-Lösung. Mit Notlösung meine ich jedoch, dass bei steigender An- zahl obdachloser Personen weitere Massnahmen für diese Menschen getroffen werden. Für den Fall, dass noch mehr Menschen in die Not- schlafstelle gehen wollen, hat der Verein Jobdach bereits vorgesorgt. In sehr kurzer Zeit können mehr als die bestehenden fünfzehn Bet- ten angeboten werden. Reicht die Erhöhung der Bettenanzahl immer noch nicht aus, so hat Jobdach mit der Sozialdirektion der Stadt Luzern Vorkehrungen getroffen, um auch eine grössere Anzahl von Obdach- losen unterzubringen. Ich bin sehr dankbar für dieses Notfall-Szenario. Gratis Unterkunft mit dem Allernötigsten Bei der Befragung von vier Ob- dachlosen Männern und einer woh- nungslosen Frau äussern diese den Wunsch nach einer Unterkunft, die das Allernötigste bietet. Die Be- fragten brauchen aus ihrer Sicht dabei keine Betreuung. Der Ort soll uneingeschränkt benutzt werden können und gratis zur Verfügung gestellt werden. Mit dem, was wir heute anbieten, erreichen wir nicht alle Obdachlo- sen. Mir scheint, dass es sich lohnen würde, an dieser Idee der Betroffen weiterzudenken. Weiterdenken be- deutet auch Bedenken einbringen: Ist der Verzicht auf Betreuung verantwortbar? Welcher Ort und welches Gebäude sind dafür wirk- lich geeignet? Weiterdenken nicht für, sondern mit den Betroffenen wäre spannend! Dauerhafte Lösungen Wie die Betroffenen selber bei der Befragung aufzeigen, gibt es indi- viduelle Gründe für die Obdach- losigkeit. Nicht zu verschweigen sind jedoch auch die strukturellen Gründe. Ein zentraler struktureller Grund der Obdachlosigkeit ist das Fehlen von günstigem Wohnraum in der Stadt Luzern. Wir haben in Luzern seit einigen Jahren eine sogenannte Wohnungs- not. Sobald Leerwohnungsbestand nur noch bei einem Prozent von al- len Wohnungen liegt, spricht man von einer Wohnungsnot. Die Stadt selber sagt, dass es bei den städ- tischen Liegenschaften kaum leere Wohnungen gibt. Der Wohnungs- markt sei ausgetrocknet. Günstiger Wohnraum für unse- re Klientinnen und Klienten ist in den letzten Jahren verschwunden. Ältere Gebäude mit kleineren Woh- nungen werden abgerissen. Luzern floriert als Studentenstadt. Studierende haben oft denselben Wohnungsbedarf wie unsere Gäste in der GasseChuchi: günstige und kleine Wohnungen. Gefordert ist deshalb eine Woh- nungspolitik, die günstigen Wohn- raum fördert. Dies widerspricht aber der allgemeinen Tendenz, dass so- wohl Kantone als auch Städte pri- mär finanzstarke Firmen und Per- sonen anziehen wollen. Für sie gilt es entsprechenden Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Es muss ja nicht immer ein «Entwe- der-oder» sein. Könnte es nicht zu einem «Sowohl-als-auch» werden? Meines Erachtens ist eine Wohn- politik gefordert, die sich in beide Richtungen stark macht: Förderung von günstigem und von luxuriösen Wohnraum. In allen Jahrhunderten haben in Luzern die verschiedenen Menschen zusammen gelebt. Das kann, wenn der politische Wille da ist, auch im 21. Jahrhundert gelin- gen! Fridolin Wyss, Geschäftsleiter Verein Kirchliche Gassenarbeit *Name geändert Fortsetzung von Seite 1 Seite 3 Nr. 47 Dezember 2011 Die Wohnung oder das Zimmer haben sie verloren, weil ihr Ver- halten nicht mit den Vorstellungen des Vermieters oder der Vermie- terin übereinstimmte, auf Grund von Beziehungsproblemen oder psychischen Krankheiten. Sie sind zwischen einem Jahr und vier Mo- naten wohnungslos oder obdach- los. Wo schlafen die Wohnungs- und Obdachlosen? Auf die Frage, wo sie primär schla- fen, sagen vier Befragte, dass sie draussen schlafen. Die wohnungs- lose Frau gibt die Notschlafstelle an. Draussen schlafen sie entweder ganz allein oder zu zweit an einem Ort, den sie nicht preisgeben wol- len. Gegen einige Probleme haben sie täglich zu kämpfen. Jemand sagt, dass für ihn die Aussichts- losigkeit und die Perspektivenlo- sigkeit das grösste Problem sei; andere nennen den Drogen- oder Alkoholkonsum, die Kälte oder die Wohnungslosigkeit. Wohnungssuche Von diesen fünf Personen sind drei intensiv auf der Suche nach einer Wohnung. Hoffnungsvoll tönt es bei jenem 38-jährigen Mann, der von seinem Beistand unterstützt wird. Er meint: «Die Vormund- schaftsbehörde gibt recht gute Hilfe.» Ein 26-jähriger Mann, der auch auf der Suche ist, ist weniger zuversichtlich. Er glaubt, dass die Perspektiven schlecht sind. Zwei Personen suchen nichts mehr. Der eine, auch 26-jährig, erzählt, dass es ihm «abgelöscht» habe. Dass die Wohnungssuche nichts bringt, be- gründet er mit dem Satz: «Weil sie die gut Bürgerlichen vorziehen.» Die zweite Person, die keine Woh- nung mehr sucht, sieht für sich keine Perspektive mehr. Was erwarten diese Menschen von uns, den Organisationen in der Überlebenshilfe, vom Ver- ein Kirchliche Gassenarbeit und vom Verein Jobdach? Drei Personen äussern den Wunsch nach einer Zivilschutzanlage, die unbeschränkt genutzt werden und in der man gratis übernachten kann. Auf die Rückfrage, ob es eine Betreuung brauche, sind alle drei der Meinung, dass sie selber keine Betreuung brauchen. Einer von ihnen wörtlich: «Ohne Betreu- ung, wenn die Richtigen da sind.» Ein 38-jähriger Mann erinnert sich an das Projekt «Ibach». Dort ha- ben obdachlose Menschen mit dem Verein Kirchliche Gassenarbeit sich ein eigenes Zuhause gebaut. Das wäre nach seiner Ansicht wie- der zu beleben. Von diesem neuen «Ibach» aus könnte man dann auf die Wohnungssuche gehen. Eine weitere Idee von einem Mann ist es, dass ein Bauer ganz unkom- pliziert seine Scheune zur Verfü- gung stellt. Die Obdachlosen erwarten von uns auch mehr Unterstützung bei der Wohnungssuche. Wichtig wäre auch, dass wir im Winter die Orte aufsuchen würden, wo sie über- nachten, um zu schauen, ob alles o.k. ist. Perspektiven der Betroffenen Diese Interviews machen mich sehr nachdenklich. Einerseits nehme ich eine grosse Perspektivenlosigkeit bei noch sehr jungen Menschen wahr. Andererseits sehe ich bei an- deren den Willen, weiter gegen ihre eigene Obdachlosigkeit zu kämp- fen. Sie geben die Hoffnung nicht auf, auch wenn sie die Nächte im Freien verbringen.Fridolin Wyss Eine wohnungslose Frau und vier obdachlose Männer im Alter von 22 bis 44 Jahren wurden Anfangs November be- fragt. Zuvor hatten sie in einer Wohnung oder einer WG gelebt. Befragung von Wohnungs- und Obdachlosen Die Wohnungssuche bringe nichts, weil sie die gut Bür- gerlichen vorziehen. «Im Vergleich zu den Vorjah- ren hat die Anzahl der Woh- nungslosen leicht zugenom- men. Stark zugenommen hat jedoch die Zahl der Obdach- losen.» Fridolin Wyss Statt in einer warmen Wohnung übernachten obdachlose Menschen draussen z.B. auf einer Bank, in einem öffentlichen WC oder im Wald. Bild: Fotolia