Im Bus, Linie 4 Richtung Hubel- matt, erregt ein weinendes Kind meine Aufmerksamkeit. Als ich es sehe, es ist circa drei bis vier Jahre alt, merke ich, dass ich die Mutter kenne. Mir wird klar, wohin ihr Weg führt: in die Kontakt- und Anlauf- stelle bei der GasseChuchi. Vieles hat sich verändert Letzten Sommer traf ich die Mutter mit ihrem Kind öfters am Bahnhof- platz und kam ins Gespräch mit ihr. Sie vertraute mir ihre Situation ein bisschen an. Es schien alles gut zu laufen, ausser dass die Vaterbezie- hung zu brechen drohte. Nun erkenne ich, dass sich vieles verändert haben muss. Denn es geht ihr nicht gut. Das Kind steigert das Weinen in verzweifeltes Flehen: Nein, nicht gehen Mami, nicht dort- hin. Es ist wohl nicht das erste Mal, dass die Mutter und ihr Kind auf dem Weg in die Kontakt- und An- laufstelle sind. «Ich verspreche dir, ich komme sofort wieder. Es wird nicht lange dauern. Alles wird gut», sagte sie. Nun mische ich mich ein und fragte, ob ich helfen kann. Das Kind ist nicht zu beruhigen. Es weint im- mer heftiger und klammert sich an seine Mutter. Beim Denner steigen wir aus. Ver- mutlich will die Mutter ihr Kind in der Nähe der Kontakt- und Anlauf- stelle für kurze Zeit einer Bekannten geben. Wir reden miteinander. Sie ist in grosser Not und muss unbe- dingt etwas konsumieren, damit sie diesen Tag übersteht. Hilflose Mutter Ich schlage ihr vor, kurz auf das Kind aufzupassen, damit sie gehen kann. Nun weint auch die Mutter. Sie ist sehr verzweifelt und hilf- los. Doch die Liebe zu ihrem Kind ist spürbar und innig. Ich kann das Kind ablenken – das Weinen hört auf – aber es schluchzt noch lange. Die Mutter kommt sehr schnell wie- der. Wir sprechen weiter. Ich er- fahre, dass sie kein Methadon mehr erhält wegen ihrem Alkoholkon- sum. Sie weiss nicht, wie es weiter gehen soll. Im Gespräch mit mir wird ihr er- schreckend bewusst, wie ihr kleines Kind erkennt, was die Kontakt- und Anlaufstelle und der Weg dahin be- deuten. Man kann die Kinder nicht belügen. Sie reagieren sensibel und spüren die Veränderungen ihrer El- tern schnell. Paradiesgässli Die Mutter gibt mir die Gelegenheit und die Zeit, um ihr vom Paradies- gässli zu erzählen. Sie hat schon davon gehört, war aber noch nie dort. Genau für so verzweifelte El- tern und Kinder ist es da. Als man vor dreizehn Jahren Eltern mit ihren Kindern in der Gasse- Chuchi antraf, Kinder die sich dort aufhalten mussten, weil ihre Eltern ein Suchtproblem hatten, gründete Sepp Riedener das Paradiesgässli. Es ist ein Ort, wo suchtbetroffene Eltern mit ihren Kindern hinge- hen und ein vielfältiges Angebot in Anspruch nehmen können (sie- he rechts). Das ist eine gute Sache. Die Eltern können mit den Kindern nun ins Paradiesgässli, an einen Ort wo der Drogenkonsum nicht tole- riert wird. In der GasseChuchi ist es heute hingegen nicht mehr erlaubt, Kinder mitzunehmen. Das Paradiesgässli hätte auch die- ser Mutter eventuell helfen können, dass sie schnell wieder Methadon beziehen kann. Ich und meine Kinder haben immer wieder wichtige Hilfen erhalten im Paradiesgässli. Ich bin sehr dankbar für die Geldverwaltung. Das Ju- gendprogramm Listo hat meinem jüngsten Sohn geholfen, dass er eine Zukunft bekam und ein Prak- tikumsplatz mit einer anschlies- senden Lehre gefunden hat. Essen und attraktive Angebote Mittwochs essen jeweils Eltern, Kinder und Betreuerinnen und Be- treuer im Paradiesgässli zusam men zu Mittag. Am Nachmittag können wir in den Zirkus, ins Museum oder zum Bräteln in den Wald gehen, wenn die dafür bestimmte Kasse gefüllt ist. Wir dürfen Sachen erle- ben, die wir uns sonst nicht leisten könnten. Das Paradiesgässli ist ein Ort, an dem man das Elend Sucht eine Weile vergessen kann. Ich freue mich schon darauf, dass ich diese Mutter und ihr Kind un- bekümmert und sorglos im «Pari» antreffen kann.Bea Mutter mit weinendem Kind Verzweifelte Mütter und Väter in schlimmen Situationen: Sie und ihre Kinder finden im Paradiesgässli vielfache Hilfen. Dieser Ort lässt das Elend Sucht eine Weile vergessen. «Genau für so verzweifelte Eltern und Kinder ist das Paradiesgässli da.» Bea Kinder merken schnell, wenn sich die süchtige Mutter Drogen beschafft und sich deshalb seltsam verhält. Bild: Fotolia Alltagskultur in der GasseChuchi GasseZiitigLozärnSeite 7 Nr. 51 Mai/Juni 2013 Angebote im Paradiesgässli Bei der Beratung der Eltern geht es unter anderem um die Förderung von Verantwortungsbewusstsein und Erziehungskompetenz, um Unterstützung in rechtlichen und finanziellen Fragen sowie um Hilfe bei der Vermittlung sozialer Kontakte. Ziel des Paradiesgässli ist es, sucht betroffene Fa- milien zu stützen, ihnen Zugang zu Hilfe und zu sozialen Kontakten zu ermöglichen und so die Le- bensqualität von Eltern und Kindern zu verbessern. Listo und Listino Parallel zur Unterstützung der Eltern soll die Lebens- situation der Kinder verbessert werden. Das Kinder- projekt Listino macht aufsuchende Familienarbeit mit Beratung, Begleitung und Hausaufgabenhilfe. Im Rahmen des Jugendprojektes Listo werden Ju- gendliche auf ihrem Weg in die Selbstständigkeit und beim Eintritt in die Arbeitswelt unterstützt. Kontakt Das Paradiesgässli und die Projekte Listino und Listo können per Telefon: 041 429 10 00 und via E-Mail: paradiesgaessli@gassenarbeit.ch kontaktiert werden. Gabriela Rohrer, Leiterin Paradiesgässli Das Paradiesgässli ist eine Anlaufstelle speziell für Familien, die von Sucht betroffen sind. Fach­ leute beraten und begleiten Mütter und Väter mit Suchtproblemen. Am 29. Januar durften wir im Rah- men unserer Ausbildung an der höheren Fachschule für Sozialpä- dagogik Luzern ein Projekt in Zu- sammenarbeit mit der GasseChuchi realisieren. Den Fokus haben wir darauf gelegt, gemeinsam mit Klientinnen und Klienten der GasseChuchi Alltags- kultur zu gestalten und zu erleben. Nach dem Mittagessen starteten wir mit einem Lottospiel. An- schliessend genossen wir die mu- sikalische Unterhaltung der zwei Bands «Club de Bombordo» aus Bern und «Maze» aus Luzern. Wäh- rend die Würste auf dem Grill brut- zelten, wurde geplaudert, getanzt, diskutiert. Es herrschte gute Stim- mung. Ein erlebnisreicher, gelun- gener Anlass! Belinda, Eveline, Irene, Markus und TheresiaDie Band «Club de Bombordo» beim Konzert in der GasseChuchi. Bild: zvg Ein Beitrag zum Wohl der Gassenleute Mit einer Spende an den Verein Kirchliche Gassenar- beit Luzern tragen Sie bei zum Wohl der Gassenleute. Wir freuen uns über jede Spende auf das PC-Konto: 60-30609-6. Herzlichen Dank.