GasseZiitigLozärn ich immer aufräume und nichts liegen lasse. Auch die Stummel der Joints werfe ich nicht einfach weg, sondern sammle sie ein. Deswegen lässt man mich auch gewähren. So- lange man nichts kaputt macht, ha- ben die Menschen nichts dagegen. So kann man auch mal einen Lauch aus einem Schrebergarten heraus- nehmen. Im Ausland schlafe ich auch mal hinter Hecken, Trocken- mauern oder im Windschatten ei- ner kleinen Scheune. Du warst auch im Ausland unterwegs? Bist du schon weit herumgekommen? Ich bin immer wieder unterwegs. Vor zehn Jahren war ich über zwanzig Monate am Stück unter- wegs und hatte nur 650 Franken im Sack. Zu Fuss und mit dem Velo bin ich durch Osteuropa gezogen. Österreich, Tschechien, Slowakei, Polen, Ukraine, Weissrussland, Litauen, Estland, Lettland, nach St. Petersburg und Helsinki. Dann über Schweden retour. In Finn- land haben sie schon viel gesehen, aber dann doch gestaunt, als ich im Winter mit dem Velo ange- kommen bin. Zwischen 2011 und 2013 bin ich drei Mal nach Almeria in Andalusien gefahren. Beim ersten Mal brauchte ich drei Wochen, beim zweiten Mal noch zwei. Beim dritten Mal habe ich ausprobiert, wie weit ich ohne Geld komme und habe es auch bis dorthin geschafft. Dieses Jahr fuhr ich auf dem Jakobsweg nach Santiago de Compostela. Kannst du dir denn ein Velo leisten? Nein, die werden mir geschenkt. Ich lasse sie zurecht machen, ei- nen Bremsklotz flicken und fahre los. Ich bewege mich immer aus eigener Muskelkraft. Den Zug nehme ich nur ausnahmsweise. Mit dem Flugzeug bin ich noch nie gereist. Auf der Donau oder dem Schwarzen Meer war ich mit dem Kanu unterwegs. Dabei kam es auch schon zu brenzligen Si- tuationen, als ich beispielsweise eine Stromschnelle zu spät ent- deckt habe. Plötzlich war sie da, alles weiss und ich wusste nicht, wo oben und unten ist. Es mussten damals mehrere österreichische Dorffeuerwehren aufgeboten wer- den, um mich aus den Fluten zu ziehen. Wie schlägst du dich denn durch? Benötigst du nicht auch Geld? Das Geld, das ich brauche, ver- diene ich mir mit verschiedenen Gelegenheitsjobs und teilweise auch mit dem Verkauf der Gas- seZiitig oder ähnlichen Zeitungen von hier bis Wien. Man muss mir dann nicht helfen. Man kann mir helfen, doch kann ich mir so selbst helfen. In Österreich bin ich bei den Winzern bei der Weinlese oder helfe hier den Bauern beim Pflan- zen junger Bäumchen oder schaue zu Hühnern, Papageien und Gän- sen. Oder ich verkaufe Hobelkäse, den ich aus dem Berner Oberland mitgebracht habe. Hier wie im Ausland kann ich in den Gassenküchen essen. Da kenne ich viele und verschiedene Orga- nisationen. Während man in der Schweiz für das Mittagessen zur Kasse gebeten wird, kann ich im Ausland oft gratis essen. Beson- ders sorgfältig sind die Küchen in Wien. Luzern ist aber mein Lebensmittel- punkt. In der GasseChuchi bin ich auch, weil ich beim Rauchen in Ruhe gelassen werde. Das ist etwas anderes, als wenn ich auf einem Bänkli sitze, kein Puff veranstalte, vielleicht etwas am Studieren oder Lesen bin und plötzlich die Polizei vor einem steht. Du bist nun über sechzig Jahre alt. Was planst du nun für die Zukunft? Entweder geht es um etwas oder es geht um nichts. Ich bin jetzt 61 und habe keine Zeit mehr für Spie- lereien. Ich gebe niemandem die Schuld für meinen Weg. Ich bin selbst verantwortlich und habe ein besseres Leben gehabt als manch anderer. Im Berner Oberland hab ich mir im Wald eine gemütliche Hütte gebaut und von da aus will ich wieder reisen. Auf Weihnachten hin ziehe ich wieder los und fliege zum ersten Mal mit dem Flugzeug. In Süd- ostasien will ich einem Bekannten bei der Hausrenovation helfen. Ich fliege aber nur, wenn ich mein Velo mitnehmen kann. Wenn ich genug habe, komme ich mit dem Velo zurück. Hiermit will ich mich nun ver- abschieden und allen von der GasseChuchi herzlich danken! Die GasseChuchi werde ich nicht mehr so oft aufsuchen. Interview: Martin Bühler, Zivi in der GasseChuchi Pesche, ein Lebenskünstler von Welt «Ich bin jetzt 61 und habe keine Zeit mehr für Spielereien.» Pesche Nicht nur heutzutage, auch frü- her schon sah man uns Leute von der Gasse meistens mit ihren Gschpänli. Meistens war und ist es auch heute noch ein Hund. Es gibt zudem Menschen, die sich haupt- sächlich auf der Gasse aufhalten und eine oder zwei Ratten in ih- ren Pullis mit sich herumtragen. Je nach Vorliebe der Leute zu den Tieren sind auch andere Tiere sol- che Gschpänli. Ich hatte vor einigen Jahren so- gar vier Frettchen, die bei mir zuhause ein eigens eingerichtetes Zimmer hatten. Und wenn ich auf der Gasse unterwegs war, waren immer zwei «Mitgstältli» bei mir, immer abwechslungsweise natür- lich. Heute haben ich und mein Partner zwei Katzen. Weniger einsam Da wir Gassenleute häufig einen problematischen Kontakt zu den «normalen» Menschen haben oder der Kontakt fehlt, sind für uns unsere Tiere sehr wichtig und für uns wie Mitmenschen. Wenn man sich einsam fühlt, ist das Tier das einzige, das für einen da ist. Wenn man nachts allein unterwegs ist, wenn man keine Wohnung hat, gibt uns das Tier Schutz und Si- cherheit, nur schon in psychi- scher Hinsicht. Auch wenn gewisse Hunde ein bisschen verwuschelt und zotte- lig aussehen, sind die Tiere das Wichtigste, was diese Menschen haben. Und meistens haben die Tiere auch schon einige Jahre auf dem Buckel. Tierfutter ist teuer Da das Tierfutter teilweise ziemlich teuer ist, haben wir die Möglichkeit, in der GasseChuchi gratis Tierfutter zu beziehen, hauptsächlich Hunde- und Katzenfutter. Auch gibt es in Luzern die Tiertafel (Hofstrasse 16, offen jeweils am Donnerstag von 14–17 Uhr, www.tiertafel-luzern.ch). Leute mit einem geringen Einkom- men können sich dort mit einer ent- sprechenden Bescheinigung anmel- den. Sie erhalten dann Tierfutter, Vitaminpräparate, Leinen und an- deres gegen eine Gebühr von zwei Franken für eine Woche. Nadine Name geändert S’Gschpänli vo de Gasselüüt Gassenleute finden oft nur schwer einen Zu- gang zu andern Men- schen. Deshalb sind für viele von ihnen vier- beinige Begleiter sehr wichtig: zum Beispiel Hunde, Katzen oder auch Ratten. In der GasseChuchi erhalten Hunde- und Katzenhalter gratis Tierfutter, damit die Kosten dafür nicht zu hoch sind. Bild: GaZ Seite 5 Nr. 59 Dezember 2015 Pesche fuhr dieses Jahr mit dem Velo auf dem Jakobsweg bis nach Santiago de Compostela. Auf der Hinreise hat er in einer Pilgerherberge im Französischen Jura übernachtet. Bild: zvg