GasseZiitigLozärn Hund als einzigen Gefährten, der ihnen immer nahesteht. Solche Menschen lassen ihren Hund un- ter keinen Umständen irgendwo alleine draussen angebunden über Nacht, wenn sie selbst drinnen im Warmen sein können. Hunde können verständlicherweise nicht in die Notschlafstelle rein. Wenn man dorthin will, muss man eine Vertrauensperson finden, die den Hund über Nacht zu sich in die Wohnung nimmt. Bei Bekannten übernachten Manchmal ergibt es sich auch, dass man für eine Weile bei Bekannten oder anderen Abhängigen unter- kommt, die zum Beispiel in einer Pension ein Zimmer haben. Doch zwei oder noch mehr Leute in einem Raum, das geht nicht lange gut. Es kommt zu Spannungen. Die Privatsphäre fehlt. Hinzu kommt noch die Sucht. Früher oder spä- ter landet man wieder draussen im kalten Winter. Warme Kleider – Duschen Wärmende Kleidung, Decken und Schlafsäcke gibt es zum Glück in der GasseChuchi-K&A. Die Kleider können dort auch regelmässig ge- wechselt werden. Ebenso gibt es die Möglichkeit zu duschen. Einsame Weihnachten Die Weihnachtszeit steht vor der Tür. Für viele Abhängige ist dies eine Zeit, in der sie sich sehr ein- sam fühlen. Einige von ihnen sind sogenannte «schwarze Schafe» in ihrer Familie und werden von ihr fallen gelassen — manchmal selbstverschuldet, manchmal un- verschuldet. Manche werden von Freundinnen und Freunden oder Verwandten als «unheilbar süch- tig» abgestempelt. In der GasseChuchi findet je- des Jahr ein Weihnachtsessen mit einer Weihnachtsfeier statt. Eine tolle Idee! Nur, die restliche Zeit über die Festtage sind wir schliesslich doch alleine.Nadine Name geändert Fortsetzung von Seite 1 «Wo ist Gott jetzt?», fragte mich neulich ein Besucher in der Gas- seChuchi, während wir eine Ab- dankung für eine verstorbene Frau von der Gasse hielten. Es wurde still bei dieser Frage. In der Mitte des Stuhlkreises brannten Kerzen. Die Gedanken der Anwesenden waren bei der Verstorbenen, die Tage zuvor tot in ihrer Wohnung aufgefunden worden war. Wo ist Gott? Bei einem Abschied ist die Stim- mung in der GasseChuchi jeweils ganz besonders, anders als sonst. Betroffenheit über den Tod ei- ner Kollegin oder eines Freun- des. Die Anwesenden können mit dem Anzünden einer Kerze von Erlebnissen erzählen, die sie mit der verstorbenen Person verbin- det oder einfach still für sich den Gedanken nachgehen. Wenn der Raum ausgefüllt ist mit schmerzli- chen Erinnerungen, mit Traurig- keit, mit Ohnmacht und Angst, dann ist die Frage mehr als berechtigt, wo Gott ist und warum das Leben so hart ist. Kraft fehlt Viele Gespräche, die ich in den vergangenen Monaten geführt habe, kreisen um das Thema Aussichtslosigkeit: «Wie soll es mit mir weitergehen? Ich habe keine Kraft mehr und schon so viel durchgemacht.» Solche und ähnliche Worte zeigen, wie schwer es ist, diese Dunkelheit und diese Kälte des Lebens auszu- halten. Der Gedanke an Suizid ist bei einigen Suchtbetroffenen nahe. «Was hat es noch für einen Wert, zu leben? Was würde Gott dazu sagen, wenn ich mich selber umbringen würde, weil ich nicht mehr mag?» Antworten auf diese Fragen zu finden, ist alles andere als leicht. Mir ist folgendes Gedicht von Antje Sabine Nägeli in den Sinn gekommen: Zugegeben, die Tage sind dunkler geworden und kälter. Ich wäre kein Mensch wollt’ ich mein Dunkel nicht beklagen. Aber noch trage ich die Wärme lichterer Zeiten in mir. Grund genug zu leben. Weihnachten – Zeit, um Mensch zu werden Das Beklagen dunkler Zeiten ist Teil unseres Lebens. Auch das Ver- sagen, das Bangen und die Ohn- macht gehören zum Menschsein. Oder will das Gedicht mir sagen, dass das Wahrnehmen von Not und Einsamkeit uns erst zu wirklichen Menschen macht? Die Weihnachts- zeit wird als Zeit der Liebe und der Geborgenheit heraufbeschworen. Oft gaukeln diese Tage uns eine schöne, harmonische Stimmung vor, die es für viele Menschen gar nicht gibt. Weihnachtszeit ist jedoch eine Zeit der Herausfor- derung, die harten Brocken, die Menschen tragen müssen, wahr- zunehmen. Es ist eine Zeit, um Mensch zu werden. Die Weihnachtsgeschichte bestä- tigt mir jedes Jahr neu, dass genau jene Menschen das Lied der Engel gehört haben, die benachteiligt sind, an den Rand gedrängt wer- den — ohne festen Boden unter den Füssen: «Euch ist heute der Retter geboren!» Das einfache Hirtenvolk, das die Härte des Lebens kannte und abseits des Mainstreams lebte, nahm diese wohltuende Botschaft auf. Die gesättigten und etablier- ten Menschen waren sich nicht bewusst, was im Stall ausserhalb der Stadt in dieser besonderen Nacht geschah. In ihren Palästen hatten sie ihre eigenen Antworten auf Sinnfragen. Jene Menschen je- doch, die in ihrer Not kaum noch Auswege sahen, hatten Ohren und Offenheit, die hoffnungsvolle Nachricht zu hören. Mit der Geburt des Kindes fühlten sie sich verstan- den und konnten vielleicht — mit den Worten des Gedichtes — sagen: «Aber noch trage ich die Wärme lichterer Zeiten in mir, denn da ist jemand, der uns sieht und würdigt!» Das Erzählen der Weihnachtsge- schichte bläst Menschen auf der Gasse die Aussichtslosigkeit nicht weg. Jedoch kann das Mitgehen, Mittragen und Wahrnehmen ihrer traurigen Situation bereits andere Gefühle auslösen. Platz für Benachteiligte Die biblische Erzählung zur Ge- burt Jesu möchte auch dieses Jahr aufrütteln und uns ermutigen, die Ausweglosigkeit von Menschen hier und weltweit wahrzunehmen. Auch heute leben Hirten, Männer und Frauen, die keine Unterkunft haben, physische und psychische Schmerzen ertragen müssen, stig- matisiert werden und nicht weiter wissen. Es liegt an uns allen, Be- dingungen zu schaffen, dass auch benachteiligte Menschen mit ihren Geschichten Platz haben in unserer Gesellschaft. Das ist für mich der Kern der Weihnachtsbotschaft. Wir werden die Geschichte des Neugeborenen, das später Gottes Sohn genannt wird, auch dieses Jahr im Paradiesgässli und in der GasseChuchi im Rahmen der Weih- nachtsfeiern hören. Diese Feiern sind jeweils geprägt durch eine be- sondere Stimmung von Sehnsucht, aber auch geprägt von Offenheit und Dankbarkeit, dass es Menschen gibt, die mithoffen. Vielleicht hilft die Erinnerung an das junge Paar mit dem Kind, trotz allem Ausweg- losen, ein kleines Stück Himmel zu erahnen und etwas Geborgenheit zu erfahren. Franz Zemp Gassenseelsorger Geborgenheit in dunklen Tagen Menschen, die benach- teiligt waren und an den Rand gedrängt wurden, haben an Weihnachten das Lied der Engel ge- hört. Auch heute will die weihnachtliche Botschaft aufrütteln und uns er- mutigen, die Ausweg- losigkeit von Menschen hier und weltweit wahr- zunehmen. In der GasseChuchi finden Abdankungen mit Franz Zemp statt für verstorbene Freundinnen, Freunde und Bekannte. Bild: Jutta Vogel «Auch heute leben Hirten, Männer und Frauen, die keine Unterkunft haben, stigmatisiert werden und nicht weiter wissen.» Franz Zemp «Da es im Winter so kalt ist, erst recht über Nacht, kon- sumiert man mehr Drogen» Nadine «Viele Gespräche, die ich in den vergangenen Monaten geführt habe, kreisen um das Thema Aussichtslosigkeit» Franz Zemp «Einige Gassenleute haben einen Hund als einzigen Gefährten, der ihnen immer nahesteht.» Nadine Seite 3 Nr. 62 Dez. 2016/Jan. 2017