GasseZiitigLozärnSeite 5 Nr. 63 Mai/Juni 2017 dem Patienten erklärt, dass er von ihm nach der Behandlung verlangt, zurück in der Heimat das Umfeld zu wechseln, Arbeit zu suchen und re- gelmässig Sport zu treiben. Zurück in der Schweiz sind die be- handelten Personen auf sich selber gestellt. Ob die Rezeptorenver- schweissung nun wirklich funkti- oniert, sei dahingestellt. Die Angst vor einer Überdosis und Tod bei erneutem Opiatkonsum bewirkt, dass tatsächlich – zumindest für ein paar Jahre – nicht mehr kon- sumiert wird. Gerüchte von Todesfällen nach der Behandlung halten sich aber hart- näckig. Sie illustrieren sehr gut die Ambivalenz und das Misstrauen, das betreffend Dr. Zobin sowohl in Fachkreisen als auch auf den Gas- sen herrscht. Turboentzug unter Narkose Die Klinik von Dr. Nasaraliew – auch gerne Dr. Life oder Dr. Cocain genannt – liegt in Kirgisistan, mit- ten in einer karg anmutenden Land- schaft. Dokumentationen zeigen viel Fachpersonal. Die Behandlung ist auch auf eine längere Zeit angelegt als die seines russischen Kollegen Zobin. Im Vergleich zu Schweizer Therapie-Modellen ist der Zeitraum immer noch enorm kurz. Er kann mit der Behandlung in einer nor- malen Entzugsklinik – also 3 bis 5 Wochen – verglichen werden. Dr. Life und sein Team setzen auf den sogenannten Turboentzug un- ter Narkose mittels dem die Re- zeptoren für die Opiataufnahme blockiert werden und somit das Verlangen nach der Droge ge- dämpft wird. Therapeutische Behandlungen Anschliessend an den Entzug setzt man in Kirgisistan auf somatische und therapeutische Behandlungen, die ganz verschiedene Aspekte im Fokus haben: Gruppengespräche, Einzelgespräche, Verhaltensthe- rapie, Schocktherapie und Medi- kamente. Es macht den Anschein, dass im Medical Center von Kirgisi- stan auf alle möglichen mehr oder weniger modernen und ganzheit- lichen Methoden zugegriffen wird, die man heute auch in herkömm- lichen westlichen Kliniken kennt und einsetzt. Als Voraussetzung für den Eintritt in die Klinik wird verlangt, dass eine nahe stehende Person dem Patienten, der Patientin während der gesamten Zeit beisteht. Damit sei der emotionale Support ge- währleistet, die Erfolgschance hö- her. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Sucht und mit dem ei- genen Körper findet statt, teilweise in Extremform. Nach der Rückkehr in die Schweiz bleibt das Team der Klinik telefo- nisch erreichbar bzw. meldet sich über eine längere Zeit hinweg bei den Behandelten. Alles in allem scheint uns Westlern das Angebot in Kirgisistan nachvollziehbarer und vertrauenswürdiger. Die Gründe bleiben Dass mit diesen beiden Kurzzeit- behandlungen ohne direkte medi- zinische und psychosoziale Nach- betreuung die Folgen des meist langjährigen Konsums und auch die Gründe dafür nicht behoben sind, scheint logisch: Schulden, so- ziale Isolation, physische Probleme und psychische Belastungen blei- ben. Es braucht von Seiten der Ex- konsumenten enorm viel Kraft und Mut sowie ein stützendes Umfeld, um sich dem Leben so «neugebo- ren» zu stellen. Abstinent zu werden und aus der Szene auszusteigen kann damit verglichen werden, in ein frem- des Land auszuwandern, wo man nichts und niemanden kennt und auf sich allein gestellt ist. Eine Behandlung mit ungewissen Methoden und Ausgang anzufan- gen, dafür braucht es eine grosse Hoffnungslosigkeit bezüglich der eigenen Möglichkeiten, mit der Sucht auf eine andere Art fertigzu- werden und viel Mut. Die meisten Konsumenten haben eine lange Ge- schichte von Entzügen und Rück- fällen hinter sich. Die Behandlung in Russland oder Kirgisistan prä- sentiert sich ihnen als letzte Chance für ein Leben ohne Drogen. Da kei- ne Krankenkasse die Behandlungs- kosten übernimmt sind es oft die Herkunftsfamilien der zu Behan- delnden, welche die Beträge zwi- schen 5'000 und 15'000 Franken bezahlen. Damit steigt der Druck zu einem erfolgreichen Resultat. Riesige Anstrengungen Ein neues Umfeld aufzubauen, neue Bewältigungsstrategien zu erar- beiten, Probleme auszuhalten und langfristige Lösungen zu suchen: Dies alles ist anspruchsvoll und mit riesigen Anstrengungen verbun- den, insbesondere für Personen, die jahrelang in ihrer eigenen, durch Drogen gefärbten Parallelwelt ge- lebt haben. Dies ist auch die grösste Kritik, die an den Behandlungen geübt wird: Eine konkrete Nachbetreuung zu- rück in der Heimat fehlt. Die zu- rückgekehrten Personen werden mit dem Clean-Sein alleingelassen. Ebenfalls kritisch ist man gegen- über dem Anspruch, dass die Sucht durch die Behandlung geheilt wer- den könne. Kein Verlangen nach Opiaten zu haben heisst, dass der Konsum von Heroin, Methadon und anderen verwandten Substan- zen unterlassen werden kann. Es ist aber bekannt, dass andere Drogen wie Kokain, Speed, Medikamente, Cannabis, Alkohol etc. von der Ver- siegelung der Rezeptoren nicht im selben Ausmass betroffen sind und weiterhin konsumiert werden kön- nen. Dies wiederum kann zu einer Suchtverlagerung führen. Ein solcher Verlauf ist der denkbar schlechteste Ausgang für die hoff- nungsbeladenen und vom Umfeld mit Erwartungen bestückten Be- handlungen. Auf diese Weise wird erneut Leid für Betroffene und An- gehörige geschaffen. Unglaubwürdig wegen fehlenden Statistiken Wie die Statistiken effektiv aussehen betreffend Erfolg und welche Fak- toren die tatsächliche, langanhal- tende Abstinenz nach Dr. Nasaraliev oder Dr. Zobin begünstigen und ermöglichen, bleibt bis anhin im Dunkeln. Förderlich für die Glaub- würdigkeit ist dies nicht, sondern erzeugt Ablehnung in Fachkreisen und Unsicherheit bei den Betrof- fenen, womit letztlich niemandem gedient ist. Wer bei der Rückkehr das Glück einer guten, kontinuierlichen Un- terstützung aus dem privaten und professionellen Umfeld hat, wird es mit grösserer Wahrscheinlichkeit schaffen, seinem/ihrem Leben die entscheidende, positive Wendung zu geben.Vero Beck Quelle: www.spiegel.de Hoffnung auf den endgültigen Ausstieg «Die Behandlung in Russland oder Kirgisistan präsentiert sich als letzte Chance für ein Leben ohne Drogen.» Schicksalsschläge Vor einiger Zeit starb ein mir nahe stehender Mensch. Der Umgang damit war für mich nicht einfach. Ich wusste nicht, wie ich mit die- sem Verlust umgehen sollte. Mir fehlte in dieser schweren Phase die Motivation, meine Tagesstruktur aufrecht zu erhalten. Erst nach ein paar Monaten sah ich die wirkliche Problematik und Ernsthaftigkeit ein und war bereit, Hilfe zu holen. In der Klinik Ich habe mich auf die Warteliste einer psychiatrischen Klinik set- zen lassen. Normalerweise dauert die Wartezeit monatelang. Doch ich konnte bereits nach einer Wo- che eintreten. Ich entzog die Benzodiazepine und liess mich perfekt einstellen auf mein Ritalin und Sevrelong, so dass mein Verlangen auf andere Substanzen so gut wie weg war. Nach fast einem Monat bemerkte ich eine Schwellung an meinem Körper. Zuerst dachte ich mir nichts dabei. Und hoffte sie verschwinde so wie sie gekommen war. Krebs! Es waren erst ein paar Tage vom neuen Jahr vergangen, als ich den Arzt konsultierte. Der meinte es sei ein Tumor, der entfernt werden müsste. Gesagt getan. Es musste sofort operiert werden. Jetzt be- gann der Alptraum erst. Denn die Diagnose lautete: Krebs, der sich über die Lymphknoten verteilt! Ein herber Rückschlag für mich, da ich nun die Schnupperwoche für mei- ne Lehrstelle absagen musste. Denn die einzige Behandlung war eine Chemotherapie, welche 12 Wochen dauert, davon zwanzig Tage statio- näre Chemo im Spital. Für einen Menschen, der ein Suchtproblem hat, ist eine solche Zeit der ultimative Test. Ich blieb die meiste Zeit stabil bis auf we- nige Misstritte, die ich mit gutem Gewissen vertreten kann. Das Schlimmste in einer solchen Zeit war für mich der Haarverlust, der durch die Chemo entstand und auch die freie Zeit, die mir zu Ver- fügung stand, weil mir eine Tages- struktur fehlte. Gute Chancen Die Chancen, dass der Krebs nach der Chemo besiegt ist, stehen gut. Die Prognose sagt, dass über neunzig Prozent der Betroffenen geheilt werden. Das bedeutet für mich ein grosses Glück. Ich habe mit der Erkrankung eins zu eins erlebt, wie schnell sich das Leben ändern kann.Paul Das Leben kann sich schnell ändern. Dies er- lebte Paul (25), als er die Diagnose Krebs erhielt. Die Chancen stehen gut – bei 90 Prozent, dass er geheilt wird. überLeben (Betroffene berichten) «Der weisshaarige Wuschelkopf mit charakter- istischem Schnauz setzt sich gekonnt in Szene und wirkt wie eine Mischung aus Vater und General.» Siehe zum gleichen Thema Erlebnisbericht und Interview auf Seite 6 und 7.