GasseZiitig Lozärn Nr. 66 Frühling 2018 11 ÜBER LEBEN Brief an eine Freundin Die Schreiberin macht sich Gedanken über Freundschaft und Vertrauen. Wie schon viele Jahre zuvor besuchten wir, meine Freundin und ich, gemeinsam den Gedenkgottesdienst für verstorbene Freunde und Freundinnen von der Gasse in der Matthäuskir- che. Auch im vergangenen Jahr sind zu viele liebe Menschen gestorben. Bei jeder gemeinsamen Abdankung in der Gasse- Chuchi haben wir uns die Hände gehalten, haben getrauert. Es könnte auch eine Abdankung sein für uns. Alles kann sein! Kaum zu erklären, welch tiefe Trauer uns dann jeweils erfasst. Auf der Gasse schliesst man nicht Freundschaften, wie üblich. Jeder ist sich selbst der Nächste. Und den neben dir liebst du auch nicht wie dich selbst. Es war früher, vor 20 bis 30 Jahren, eher zu erleben, dass man dem Nächsten geholfen hat. Heute ist das seltener, aber es gibt Ausnahmen: So bist du seit 18 Jahren meine Freun- din. Jede auf ihrem eigenen Weg und doch immer wieder tief befreundet. Ich hatte schon grosse Angst um dich. Sicher auch umgekehrt. Doch dieser Gedenkgottesdienst war für mich wegen dir etwas ganz Besonderes. Meine Sorgen und meine Angst um dich will ich dir nicht ständig unter die Nase reiben. Das würde dir nicht helfen. Doch hoffe ich für dich, dass es dir jetzt nicht mehr schlechter gehen wird. Das darf es nicht. Ich erkenne, was ich sehe. Meine Kerze zünde ich für dich an und hoffe, dass sie dich wärmt und dir den Weg beleuchtet. Du sollst nicht länger in dei- ner Dunkelheit gehen und du sollst immer wissen: Diesen Kampf musst du nicht alleine gewinnen, es gibt Helfer! Wir halten uns an den Händen und lauschen den Wor- ten in der Matthäuskirche. Die Worte berühren und durch- dringen mich tief. Ich höre aus dem Buch der Offenbarung (Kapitel 21): «Es wird keinen Tod mehr geben und keine Traurigkeit, keine Klage und Geheule mehr …» Und genau das wünsche ich dir, Freundin, fürs nächste Jahr! Denn ich wünsch mir sehr, mit dir gemeinsam wieder hierher zu- rückzukommen. Aus einem Gebet, das mir so gefällt, will ich dir diese Worte ins Herz geben: «Ein Trost ist, dass die Letzten die Ersten sein wer- den, dass die mit dem kürzeren Halm die Gewinner sein sollen. Du drehst alles um, Gott. Aus Betroffenen machst du Fröhliche, aus Entrechteten machst du Berechtigte, aus Bedrückten machst du Befreite.» Es gibt heute noch tiefe Freundschaften auf der Gas- se. Unsere betrachte ich als eine solche, und darum: Pass auf dich auf! Es gibt Menschen, denen es nicht egal ist, was du durchmachst, und einer davon bin ich! In Liebe Deine Freundin Bea ÜBER LEBEN Hilfe, ich werde alt! In diesem Artikel mache ich mir offen und ehrlich Gedanken darü- ber, was mit mir wird, wenn ich mal keine eigene Wohnung mehr bewohnen kann. Ich bin gerade 50 Jahre alt geworden und weil einer aus mei- ner Familie ins Altersheim musste, tauchte bei mir die Frage auf, wie dies bei mir sein wird, müsste ich auch ins Alters- heim gehen. Als ich mit 15 Jahren anfing Haschisch zu rauchen und an- dere Drogen zu konsumieren, sah ich nie einen Konsumenten, der älter als 50 Jahre alt war. Dazumal verstarben fast alle Dro- genkonsumenten bevor sie ein Alter erreichten, wo dies ein Thema wurde. Doch heute – wie ist dies heute so mit dem Alt- werden? Um dies genauer zu wissen, fragte ich einige Freunde, welche, so wie ich immer älter werden. Was mir da so gesagt wurde, erstaunte mich. Doch alles von Anfang an: Jedes Mal wenn ich anfing über das Älterwerden zu reden, schauten mich fast alle an. Ich stellte bei fast allen dieselben Fragen und leider erhielt ich auch fast immer dieselben Ant- worten. Nicht einer hat sich mit diesem Teil seines Lebens aus- einandergesetzt. Nicht einer. Auf meine Frage, wohin er denn gehen werde, also in welches Altersheim, sagte jeder, er hätte keine Ahnung. Doch alle waren sich einig, nie in ein normales Heim zu gehen. Ähh? Wie soll dies gehen? Wir haben ja nur diese Heime, wie Eichhof und Rosenhügel ... Während des Redens war schnell klar, dass es ein Altersheim geben muss, wo eben wir Randständige und Drogensüchtige einziehen können, wäre es nötig. Doch wo hat es im Kanton Lu- zern ein solches Altersheim, wo? Nirgends! Wo in der gesamten Schweiz? Nirgends! Was nun? Würde man mich ins Eichhof brin- gen, so wäre ich vom ersten Tag an ein Aussenseiter und mein Drogenkonsum ein ewiges Palaver. Auch könnten die Angehöri- gen der anderen Bewohner mit mir und meiner Sucht nicht um- gehen. Vor allem wollen sie dies auch nicht. Warum auch? Käme mal Geld oder Schmuck weg, wäre allen klar, dass nur ich als Täter infrage käme. Die Drogenszene und der Konsum von Drogen verändern je- den von uns, und es gibt auch Krankheiten, welche sehr selten im normalen Altersheim vorkommen. Vor allem bei mir. Denn meine Haschisch-Psychose schlägt bei mir durch und dies ohne Voran- meldung. An solchen Tagen benötige ich verschiedene Sachen, welche heute meine Partnerin bereitstellt – doch wer macht dies, wenn sie mal nicht mehr ist? Ich überlege mir, wo ein solches Altersheim denn stehen sollte. Klar ist, dass es nicht an einem Ort stehen kann wie das Haus vom Lebensraumprojekt dazumal. Denn dieses Haus steht im Ibach, ne- ben dem Krematorium und der Kehrichtverbrennungsanlage. Es muss schon ein Ort sein, an dem jeder Bewohner gerne wohnt und auch leben kann. Vieleicht etwa dort, wo es Platz hat und wir Rand- ständige auf eine gute Nachbarschaft treffen. Ich und alle meine Gesprächspartner waren uns einig, dass die Stadt und der Kanton Luzern sich diesem Problem annehmen und anfangen sollten, darüber zu reden, ein Altersheim für uns aufzu- bauen. Es ist klar, dass es keine 8–10 Jahre gehen wird, bis wir ein solches Heim dringend benötigen. Erst darüber zu reden, wenn der Bedarf da ist, ist nämlich viel zu spät. Also, liebe Politikerinnen und Politiker bei Kanton und Stadt, geht dieses Problem an, und dies bitte heute schon und nicht erst dann, wenn es schon zu spät ist! Ginge dies für euch alle? Ich schliesse nun meinen Text, und ich habe die Hoffnung, dass wir im Alter nicht alleine gelassen werden und jeder selber sehen muss, wo er bleibt. Denn wäre dies unsere Zukunft, so sehe ich für uns alle SCHWARZ, und zwar tief. In diesem Sinne Euer Kiwi KOLUMNE Chuchi Chopf Was machst du in der GasseChuchi? R.Z.: Gute Leute treffen und mich mit ihnen unterhalten, ein Billard spielen und «Töggele». Drei Wörter die dich gut beschreiben? Loyal, aufrichtig, kollegial. Wovon träumst du? Wieder mal in die Ferien zu gehen. Welches Land möchtest du bereisen? Mexiko. Eine bestimmte Insel. Welches Tier würde dich gut beschreiben? Der Jaguar. Bist du tätowiert? Ja, an zwei Stellen. Dein Lieblingsbier? Da gibt es verschiedene. Was ich sehr gerne habe, sind das Hopfemandli, das Uelibier sowie das Turbinenbräu. Welche Jahreszeit magst du am meisten? Die Sommerzeit. Was machst du besonders gerne? Zeichnen, Malen, Gamen und Dartspielen. Das Interview mit R.Z. führte Melina Heini Illustration E.M.