Benii (28): E-Scooter der Marke Xiaomi, 2 Motoren, Ak- ku-Reichweite ca. 20 km, Höchstgeschwindigkeit 50 km/h, Lieblingsstrecke: Kreuzstutz–Emmenbrücke der Reuss ent- lang, abgesehen von den Mücken Moritz (36): City-E-Scooter Marke V-Max, 2 Motoren, Spitzengeschwindigkeit bis zu 25 km/h (noch unfrisiert), weiteste Strecke mit einem Scooter bisher: Luzern–Cham, rund 2 Stunden Moritz hat sein aktuelles Fahrzeug erst seit heute Morgen. «Es stand unabgeschlossen am Bahnhof. Tut mir leid …», entschuldigt er sich achselzuckend. Beniis Gefährt hingegen ist ehrlich erstanden, von einem Kollegen für 450 Franken (Neupreis 1200). Doch zwischenzeitlich war auch es gestohlen. «Ich habe es mir wieder zurückgekauft», berichtet Benii. Wie? «Ja, es wurde mehrmals gestohlen und weiterverkauft, bis es ein Kollege bekam, der es aber nicht von mir geklaut hatte. Dem musste ich dann halt wieder ei- nen Lappen geben.» Aha. Benii und Moritz wirken zusammen wie ein Verschnitt aus Daniel Düsentrieb, Donald Duck und den Panzerknackern. Bauernschlaue Kleinkriminelle, mit allen Wassern gewaschen, humorvoll und irgendwie drollig. Sie nehmen sich (und den Journalisten) sachte, aber ständig hoch. Benii möchte seinen Namen hier mit zwei i geschrieben haben, um die ewige Frage: «Beni mit i oder y?» aufs Korn zu nehmen. Zwischendurch zie- hen die beiden beiläufig an einer Base-Pfeife. Dann wirds unver- mittelt ernst: Polizisten*innen fahren am Pauluspärkli vorbei. Der Stresspegel schiesst hoch. Ständig werde man gefilzt, bis zu sechsmal am Tag, zuletzt einmal sogar in Anwesenheit der Mutter, erzählt Moritz. Die beiden beruhigen sich gegenseitig: «Sie fahren vorbei …». Dazwischen ertönt immer mal wieder Beniis Handy-Klingelton respektive die Klingelworte, die lita- nei-artig irgendwas mit «Stress-Chopf» leiern. Stress. Es ist die Antwort auf fast alles heute. Warum also sind E-Scooter unter Menschen auf der Gasse derart populär, dass ihre Akkus alle freien Steckdosen in der Gassenküche in Beschlag nehmen? «Wir sind auf der Gasse immer im Stress», sagt Moritz, «wegen der Beschaffungskriminalität und so. Mit einem E-Scooter kannst du schnell abhauen.» Benii ergänzt: «Wenn wir gefilzt werden, wird ein Velo schnell überprüft und beschlagnahmt. Beim Scooter schaut die Polizei eher weniger genau hin.» Auch für Kuriergeschäfte sei das Gefährt praktisch. Kommt hinzu, dass E-Scootern im Verkehr immer noch et- was Anarchisches anhaftet. Zwar gelten die offiziell höchstens 25 Stundenkilometer schnellen E-Trottinetts offiziell als Leicht- motorräder, trotzdem braucht es keinen Helm und kein Kontroll- schild. Sie können sich auf den Strassen ungeniert und legal unter die Autos mischen – oder sich als spielzeugähnliches Trottinett auf dem Trottoir durchmogeln. Was zwar nicht legal ist, aber dort im- mer noch weniger Protest auslöst, als wenn man es mit einem Velo oder einem Töffli macht. Apropos halb-legal: Die 25 Stundenkilometer für die E-Scooter sind relativ. «Via Youtube-Videos und Bluetooth kann man die Geschwindigkeit bis auf 65 Stundenkilometer frisieren», erzählt Benii. Er, der früher auf dem Bau gearbeitet und technisches Flair mitbringt, kann das. Benii bietet den Service anderen Gassenkü- che-Menschen an. Tüftlergeist ist auch dann gefragt, wenn man ein neues Gefährt ergattert hat, dem das Ladekabel fehlt. Dann basteln Benii und Moritz mitunter selber ein Ladekabel. Sie er- klären, wie man das macht, und kommen in Fahrt. Ich höre ir- gendwas von Schaltkreisen und Kabeln in Rot und Schwarz und Kurzschlussgefahr und verstehe nur Bahnhof. «All das lernt man doch in der Schule», neckt Benii. Zum Glück stelle ich hier die Fragen … Ein paar habe ich noch: Was ist eigentlich ein*e gute*r E-Scooter-Fahrer*in? «Wer voraus- schauend fährt, wie mit einem Töff», meint Moritz. Unfallgefahr, gerade unter Drogeneinfluss? «Ich hatte noch nie einen Unfall», sagt Moritz nachdenklich. «Dreimal angefahren. Einmal richtig übel», bekennt Benii und zeigt Bilder vom blutüberströmten Gesicht. Es gebe eben gute und schlechte Fahrer*innen, stichelt der Kumpel. Muss es eigentlich ein E-Scooter sein, oder ginge auch einer ohne Motor? «Dafür wär ich zu faul», lacht Moritz. Schliesslich: Ist der E-Scooter – daneben, dass er den Zweck pragmatische Fortbewegung erfüllt – für euch nicht auch ein bisschen ein cooles Ding, ein Statussymbol? – Nicht wirklich. Er habe einen Scooter aber auch schon mal geschmückt, sagt Benii, mit eingravierten Buchstaben und «Fuck the Police»-Kleber. Und jetzt kommt doch tatsächlich ein Polizist auf uns zu. «Wenn man vom Teufel spricht …», seufzt Benii. «Das ist doch nur der Quartierpolizist», beruhigt Moritz. Das sehe man daran, dass er alleine unterwegs sei. Der «Quartierpolizist» grüsst mit Namen, man kennt sich. Aha, ein Interview … Dann sei's ja gut für heute. Er geht weiter. Bis zum nächsten Mal. Remo Wiegand Freischaffender Journalist GasseZiitig Lozärn Nr. 77 Frühling 2022 11ÜBER LEBEN Nichts wie weg Auffällig oft kurven Leute von der Gasse auf E-Trottinetts respektive E-Scootern durch die Gegend. Das ist mehr als nur Lifestyle: die elektrischen Roller sind wie geschaffen für das harte Leben auf der Gasse. Die verschiedensten Gefährte sind vor der GasseChuchi anzutreffen. Bild GAZ