16 Jörg Niederberger Geometrien und Farben in Einklang bringen Graublauviolett, Goldgelb, Rostrot, Bor- deauxrot – betritt man das Atelier von Jörg Niederberger in einer ehemaligen Indus- triehalle in Büren, taucht man sofort in eine Farbenwelt ein. Im hellen Raum wimmelt es von Pinseln, Farbtöpfen und Ideen, und doch hat alles seine Ordnung. Eine hohe Wand voll von grossformati- gen, farbigen Leinwänden, kleine Bilder, die darauf warten, gerahmt zu werden, diverse Fäden, daneben Skizzen zu Teppichentwür- fen. Niederberger und seine Assistentinnen arbeiten immer an vielen Projekten gleichzeitig, jedes fein säuberlich auf einem eigenen Tisch abgelegt. Ent- lang der grossen Fensterfront ste- hen mehrere Architekturmo- delle. Seit der Luzerner Archi- tekt Daniele Marques ihn vor etwas mehr als zehn Jahren bat, ein Farbkonzept für ein Schulhaus in Fribourg zu ent- werfen, hat Niederberger hier zahlreiche Farbklänge sowohl für das äussere Erschei- nungsbild wie auch manchmal für die Innenräume meist neuer Wohn-, Geschäfts- und Schulhäuser in der ganzen Schweiz, aber auch in Deutschland zusammengestellt. Momentan arbeitet er an sechs verschiedenen Projekten. Aus seiner Sicht – d. h. derjenigen eines Künstlers – interpretiert er die Architektur kognitiv: Indem er sich vom jeweiligen Ort inspirieren lässt, werden Farbsystem und Ma- terial ausgewählt. Gleichzeitig geht Nieder- berger intuitiv vor, «das Gefühl sagt einem, ob etwas stimmt oder nicht». Ob- schon die ursprüngliche Idee während des Arbeitsprozes- ses beibehalten wird, kann sich der Farbklang im Dia- log mit Architekten und Bauherren bis zur end- gültigen Fertigstellung immer wieder ändern. Die klare, strukturier- te Architektur steht mit der Farbe in einer Span- nung, gleichzeitig bilden sie eine Einheit. Die Farbtöne müssen dabei im- Der in Nidwalden wohnhafte und arbeitende Künstler Jörg Niederberger entwirft Farbkonzepte für Architektur und ergänzt die oft sachlich wirkenden Bauten auf diesem Weg mit «Poesie». mer dem architektonischen Bau «dienen», ihn begleiten, akzentuieren, die Anforderungen der Nutzerinnen und Nutzer unterstützen, eine Stimmung erzeugen, emotional berüh- ren. Insbesondere bei Siedlungsbauten sei es wichtig, die Gesamtheit der Gebäude als zu- sammengehörig erscheinen zu lassen. Die Häuser sollen ähnlich aussehen, aber auch ihre Eigenheit haben und somit eine Identifi- kationsmöglichkeit für ihre Bewohner bieten. Jörg Niederberger vergleicht die Farben mit «Stimmen» und sich selber mit einem «Komponisten», der mit dem «Farbenchor» spielt. Mit seiner Arbeit bringt er das Irratio- nale in die sachliche, von reduzierten Kuben geprägte Architektur zurück, lädt sie sinnlich auf und füllt sie mit «Poesie». Flurina Joray Jörg Niederberger. Bild pd 1957 in Luzern geboren. 1972 bis 1978 Lehrerseminar Luzern (Primarlehrer). 1979 bis 1983 Schule für Gestal- tung Luzern (Zeichenlehrer). 1985 bis 1990 Staatliche Kunst- akademie Düsseldorf (Malerei). 2001 bis 2010 Dozent für Farbe und Formgestaltung an der F+F in Zürich. 2007 bis 2009 MAS gta ARCH ETHZ (Geschichte und Theorie der Architektur). Seit 2010 Kurs «Malen & Kon- templation» im Lassalle-Haus in Bad Schönbrunn ZG. Lebt und arbeitet im Kanton Nidwalden. www.joergniederberger.ch bioGrafie