Nidwalden 9 Ein Fenster auf Wanderschaft Ein Glasfenster wird aus einem Basler Bürohaus ins Winkelriedhaus in Stans transferiert. Was bedeutet dies für das Kunstwerk? In Basel entsteht zurzeit mit dem Baloise- Park ein Ensemble aus drei Neubauten. Es beinhaltet ein Hochhaus und einen neuen Hauptsitz für die Baloise Versicherung. Mit dieser Planung wurden unter anderem der alte Hauptsitz der Versicherung abgebrochen. Der Rückbau von alten Bauten kann Bau- teile von grossem künstlerischem Wert frei- legen, die dann plötzlich ihrem ursprüngli- chen Ort und Zeck enthoben sind. Ein sol- ches Bauteil ist das vom Nidwaldner Maler Paul Stöckli 1955 gefertigte Glasfenster, wel- ches im alten Hauptsitz der Baloise Versi- cherung verbaut war. Paul Stöckli kam schon als Jugendlicher mit Kunst und Bau in Berührung, als er seinem Vater im Familienbetrieb bei der Restaurie- rung von Kirchenfresken half. Es ist somit kaum verwunderlich, ihn um 1955 bei der Gestaltung von Glasfenstern für repräsenta- tive und sakrale Räume wiederzufinden. In der Pfarrkirche Obergösgen hat er im ge- nannten Jahr beispielsweise eine ganze Serie von Verglasungen erstellt. Der abgesehen von Holzelementen sonst weiss gehaltene Bau erhielt somit eine farbliche Sprache. Anders als in Obergösgen handelt es sich bei seinem Werk für den Hauptsitz der Baloise Versicherung um ein einzelnes raumhohes Glas-Eisenfenster. Der in Stans gefertigte Fensterrahmen besitzt eine Grösse von 2,91 × 2,42 m mit einer Stärke von 35–45 mm. Im Bau des Basler Architekten Hermann Baur befand sich dieses im Erdgeschoss und diente als einzige Öffnung an der Nordwestfassade. Zusammen mit der modernen Wendeltreppe war das Farbfenster ein wesentlicher Bestand- teil der Gestaltung des repräsentativen Emp- fangsraumes. Auf der Längsachse des Baus befand sich ein Gang, der im Bereich des Empfangsraumes als Trennung zwischen Treppensituation und Aufzügen diente. Beim Warten auf den Aufzug trat somit Stöcklis Fenster besonders in Erscheinung und bildete einen gestalterischen Abschluss für den Gang. Durch den Rückbau des Hauptsitzes ging die- se Komposition verloren. Als klar wurde, dass man Stöcklis Fenster nicht wieder verbauen wollte, traf man die Entscheidung, das Werk dem Nidwaldner Museum zu schenken. In gewisser Weise kehrte das Fenster nach 63 Jahren somit wieder an seinen Entstehungsort Stans zurück. Ohne seine einstige Funktion war relativ schnell klar, dass das Fenster nun als Aus- stellungsobjekt gedacht werden musste. An- ders gesagt, war der Fokus nun auf den künstlerischen, geschichtlichen und techni- schen Wert des Werkes zu legen. Lange stand beim Nidwaldner Museum das Aus- stellen im Freien zur Debatte, während gleichzeitig eine Ausstellung im Inneren ausgeschlossen wurde. Im Winkelriedhaus gibt es schlicht keine genug grosse Öffnung, durch die das Fenster hätte in einen Raum geführt werden können. Zudem würde eine künstliche Belichtung das losgelöste Fenster nicht voll zur Geltung bringen. Schlussend- lich wählte das Museum den Mittelweg, nämlich Stöcklis Fenster in der östlichen Loggia des Winkelriedhauses zu installie- ren. Mit dieser Massnahme werden die wichtige natürliche Belichtung und der Wit- terungsschutz gewährleistet. Erstmals kann man zudem mit wenigen Schritten beide Seiten des Fensters betrachten. Paul Stöcklis Fenster kann somit im Nid- waldner Museum selbstbewusst auf ein zweites Dasein blicken. Martin Garcia Stöcklis Fenster am ehemaligen Baloise-Hauptsitz. Bild: Jenni Tischer * 12.9.1906 in Stans, † 26.12.1991 in Stans Lehre im väterlichen Geschäft als Dekorationsmaler Abschluss der Kunstgewerbeschule, Luzern und Basel 1927–30 Kunstakademie, München 1931–34 École de la Grance Chaumière, Paris Mitbegründer der Künstlergruppe Kreis 48 Tätigkeitsbereiche: Malerei, Kunst im öffentlichen Raum, Radierung, Kunst am Bau, Aquarell, Collage, Glasmalerei, Glasfenster, Mosaik https://paulstoeckli.com PAUL STÖCKLI