konsultieren regelmässig die vom Antiqua- riat herausgegebenen Kataloge und durch- stöbern sie nach fehlenden Büchern, um eventuelle Lücken im eigenen Bestand auf- zufüllen. Das Antiquariat von Matt publi- ziert jährlich zwei Kataloge in den Sachge- bieten Geisteswissenschaften und Helvetica in gedruckter Form. Diese sowie ein Va- ria-Katalog stehen auch jederzeit online zur Verfügung. Viele der Kunden bevorzugen aber noch die gedruckte Variante gegenüber der Suche im Internet: Der Printkatalog bie- tet eine bessere Übersicht und lässt etwa auf einen Blick erkennen, wenn von einem Au- tor oder zu einem bestimmten Thema noch mehr Schriften vorhanden sind, die dem Su- chenden vielleicht sogar noch unbekannt sind. Dafür erfasst der Antiquar jeweils die Grundangaben des Buches und erstellt eine Kurzbeschreibung einschliesslich einer Mängel- oder Zustandsangabe. Ein immenser Fundus an Wissen Diese kodikologische Arbeit führt Becker auch dann durch, wenn es um das Aufneh- men oder Prüfen eines Buches geht. Er zeigt es mir exemplarisch an einem alten Druck. Dabei geht er von aussen nach innen, vom Groben ins Feine vor. Beim Betrachten der Aussenseite erfasst Becker zuerst die Materia- lien: Woraus besteht der Einband (Holz, Kar- ton…) und wie ist dieser eingefasst (Leder, Pergament, Metall, Buntpapier, Metallbe- schläge…)? Bei sehr alten Büchern gibt es manchmal auch Buchschliessen, welche die Funktion haben, den Einband an Ort und Stelle zu halten und den Buchblock vor Licht und Staub zu schützen. Diese mussten oft «aufgeklopft» werden, was erklärt, weshalb wir heute noch ein Buch aufschlagen. Becker schlägt das Buch jetzt auf und beginnt mit dem sogenannten Kollationieren, das heisst mit dem Prüfen auf Vollständigkeit. «Den Sei- tenzahlen ist dabei aber nicht immer zu trau- en», weiht mich Becker ein, «viel sicherer ist es, man geht den Reklamanten nach.» Rekla- manten sind unten rechts angebrachte Wie- derholungen des Anfangswortes der Folgesei- te, was bei frühen Drucken die Reihenfolge der Blätter sicherte. Dies geht darauf zurück, dass Bücher früher noch in ungebundener Form verkauft wurden, als lose Blätter oder Lagen also. Danach werden auch die Bildta- feln auf ihre Vollständigkeit geprüft, und erst jetzt geht es auch um den Text als solchen. Mithilfe der Angaben auf der Titelseite be- schreibt Becker bibliografisch den Inhalt. Die- se Angaben helfen dann auch, innerhalb von Metadatenbanken im Internet nach dem Druck zu suchen. So kann sekundenschnell herausgefiltert werden, ob das Buch weltweit häufig oder selten in Bibliotheken vorhanden ist, ebenso, ob es bereits digitalisiert wurde und online zur Verfügung steht. Dies alles sind Faktoren, die die Nachfrage eines anti- quarischen Buches mitbestimmen. Für die Arbeit eines Antiquars braucht es also einen ungemein vielfältigen Wissens- hintergrund. Neben Sprachkenntnissen – oft wurden die alten Drucke in Latein verfasst, manchmal auch in Altgriechisch – und der Fähigkeit, alte Schriften und Handschriften lesen zu können, ist dabei auch ein beträcht- liches Materialwissen notwendig. Ein Was- serzeichen im Papier oder, bei weniger Glück, bereits die Beschaffenheit eines Papiers las- sen etwa Rückschlüsse auf den Produktions- ort und die Produktionszeit zu. Ähnliches gilt für paläografische sowie kunsthistorische Kenntnisse: Aufgrund des Schriftbildes und der Art des Druckes kann ein Text räumlich und zeitlich verortet werden. Das gesammel- te Wissen im Antiquariat von Matt scheint nicht nur in Form der Bücher, sondern auch in der Person des Antiquars Gerhard Becker vorhanden zu sein. Aber wie wird man über- haupt Antiquar? Eine geregelte Ausbildung dafür gibt es in der Schweiz nicht, vieles da- von kann man sich nur in konkreter Tätig- keit aneignen. Becker selbst hat Germanis- tik, Philosophie und Theologie studiert und anschliessend eine Ausbildung zum Biblio- thekar und Papierhistoriker absolviert, bevor er die Leitung des Antiquariats von Matt übernahm. Neue Strategien Seither sind die Zeiten schwieriger gewor- den, die Nachfrage nach antiquarischen Büchern sinkt. Die Gründe für diesen Rück- gang sind vielfältig. Es ist einerseits der Strukturwandel in der Kundschaft und das Wegfallen etwa von klassischen Sammlern, andererseits die Digitalisierung der (Buch-) Gesellschaft. Internationale Plattformen bieten Bücher teilweise zu sehr niedrigen Preisen an, mit denen ein wissenschaftliches Antiquariat schlecht konkurrieren kann. Zudem werden immer mehr Bücher als Digitalisate online zugänglich gemacht. Diese Öffnung ist im Sinne der Wissen- schaft zwar begrüssenswert, sorgt aber auch dafür, dass immer weniger Interesse am anti- quarischen Originalbuch besteht. Verteufeln will Becker die Digitalisierung dennoch nicht, denn sie hat auch zahlreiche Vorteile mit sich gebracht und viele Arbeits- gänge vereinfacht. Das Antiquariat kann neu auch als Veranstaltungsraum gemietet werden, etwa für Lesungen, Seminare oder Sitzungen. Dafür wird momentan auch die Infrastruktur verbessert. Becker bietet zu- dem auf Anfrage jederzeit Führungen durch das Antiquariat und «durch die Buchge- schichte, beginnend im Mittelalter und en- dend im 20. Jahrhundert» an. Damit erhofft man sich nicht nur, die Teilnehmer für die Welt der Bücher zu begeistern und vielleicht sogar neue Kundschaft zu gewinnen; vor al- lem auch sollen etwaige Hemmschwellen, die doch beim einen oder anderen vorhan- den sind, abgebaut werden. Gerhard Beckers Leidenschaft für Bücher ist jedenfalls unge- brochen. Zum Abschied zeigt er mir das «kleinste Buch der Welt» – es ist mit 3,5×3,5 Millimetern der kleinste Teil des grossen Bücherschatzes im Antiquariat von Matt. Bettina Thommen Die Reklamente markiert den Seitenübergang. Bild: Bettina Thommen Nidwalden 5