Wenn der Tod zur Hochzeit kommt

Von Benjamin Bartsch, 31. Oktober 2025

Was hat der Tod auf einem Hochzeitsbild zu suchen? Und warum ist er auf der Luzerner Spreuerbrücke allgegenwärtig? Wer die etwas im Schatten der Kapellbrücke stehende historische Holzbrücke über die Reuss betritt, begegnet einem einzigartigen Bilderzyklus, der sich ganz der Vergänglichkeit widmet. Mit ursprünglich 67 Gemälden gehört die sogenannte Totentanz-Serie zu den eindrücklichsten und ungewöhnlichsten Sehenswürdigkeiten Luzerns. Doch was steckt hinter dieser morbiden Bilderwelt mitten im Herzen der Stadt?

Auf den ersten Blick scheinen sich die Bilder und ihre Bedeutung recht einfach zu entschlüsseln. Geht man die Bilder entlang, zeigt sich ein breites Gesellschaftspanorama, das mehr oder weniger die hierarchische Sozialstruktur der frühneuzeitlichen Gesellschaft vom Papst über verschiedenste Stände der Bürgergesellschaft bis hin zum letzten Narren darstellt. Gerahmt wird das Ganze von religiösen Motiven: Bereits auf dem dritten Bild wird die Vertreibung aus dem Paradies dargestellt, gegen Ende des Zyklus folgen die Auferstehung der Toten und das Jüngste Gericht.

So weit, so einfach zu verstehen. Merkwürdig sind nur die vielen Skelette. Auf beinahe allen Bildern sind Skelette zu sehen. Die einzige Ausnahme ist das Bild vom Jüngsten Gericht, das allerdings anstelle von Skeletten drastische Darstellungen von Höllenstrafen zeigt. Schon ganz am Anfang erwartet die Betrachtenden ein Bild, das musizierende und im Kreis tanzende Skelette zeigt. Die Bildunterschrift mutet schon hier reichlich morbid an:

Was flügt und krücht was sträbt und schwäbt
Was schwümmt und ründt, ja was je läbt
Flücht alls den Tod, ist doch kein Ort
Auff Erde, darin nicht sey der Tod.

Nicht nur die Bilder, sondern auch der begleitende Text zeigen an, dass die Allgegenwärtigkeit des Todes hier im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit des Künstlers steht. Es handelt sich bei diesem Bilderzyklus um einen Totentanz.

Entstanden ist dieser Totentanzzyklus zwischen 1626–1637 in der Werkstatt des Luzerner Malers Kaspar Meglinger. Der Künstler greift hier ein Motiv auf, das im späten 14. Jahrhundert in Frankreich (frz. danse macabre) entstanden war, und das seit dem späten 15. Jahrhundert auch im deutschsprachigen Raum – im Zeitalter der Konfessionalisierung bemerkenswert sowohl in katholischen als auch in reformierten Gegenden – weite Verbreitung erfuhr. So gibt es im Kanton Luzern weitere Darstellungen des Totentanzes im Beinhaus neben der Pfarrkirche in Hasle und im heutigen Regierungsgebäude, dem früheren Jesuitenkolleg. Neben bildlichen Darstellungen finden sich auch in anderen Kunstformen wie geistlichen Spielen oder in der Musik seit der Frühen Neuzeit Totentanzmotive.

Heutigen Betrachtenden mögen die Motive des Totentanzzyklus‘ befremdlich vorkommen, für Menschen in der Frühen Neuzeit fangen sie eine Alltagserfahrung ein. Für sie ist die Universalität des Todes nicht nur ein künstlerisches, philosophisches oder spirituelles Motiv, sondern eine Erfahrung, die ihnen in ihrer unmittelbaren Lebenswelt praktisch überall begegnet. Während in der Werkstatt von Kaspar Meglinger an den Tafeln des Totentanzes auf der Spreuerbrücke gearbeitet wird, tobt in Zentraleuropa der Dreissigjährige Krieg. Auch wenn die Eidgenossenschaft hier nicht unmittelbar Kriegspartei ist, kämpfen – und sterben – in dieser nicht enden wollenden Folge von Auseinandersetzungen auch Söldner aus der Eidgenossenschaft. Aber nicht nur die grosse europäische Politik macht die Auseinandersetzung mit dem Tod dringlich. Auch Seuchen und Krankheiten sind allgegenwärtig. So wütet im Gebiet des heutigen Kantons Luzern 1629 die Pest, bei der zum Beispiel in der kleinen Entlebucher Ortschaft Schüpfheim ein Viertel der Bevölkerung stirbt.

Totentänze beziehen sich also auf eine weitverbreitete Erfahrung frühneuzeitlicher Menschen und stellen in ihrer künstlerischen Form Möglichkeiten der Deutung des Todes und des Umgangs mit ihm zur Verfügung. Beim Betrachten der Bilder auf der Spreuerbrücke fallen dabei zwei Spannungen ins Auge, die auf den Tafeln bearbeitet werden.

Zunächst ist eine eigenartige Verschränkung von hierarchischen und egalitären Elementen in den Bildtafeln erkennbar. In ihrer Abfolge zeigt sich die Ordnung der frühneuzeitlichen Ständegesellschaft. Diese Ordnung wird weder durchbrochen noch infrage gestellt, sondern als geradezu selbstverständlich vorausgesetzt. Dieser Ungleichheit im Leben steht jedoch die Gleichheit am Ende des Lebens gegenüber: Der Tod lässt niemanden aus und kennt keine sozialen oder ökonomischen Lieblinge. Er ist der grosse Gleichmacher. Diese Spannung zeigt sich exemplarisch in der Inschrift der Bildtafel. Dort werden dem Papst folgende Worte in den Mund gelegt:

Ob ich zwar bin das Haupt der Wält
Ein Bapst, an Gottes-statt erwellt
Kumpt der Tod, führt mich mit Grus,
Von minem Amt zum Tempel us.

Auch der Träger des höchsten Amtes in der Welt stirbt am Ende wie alle anderen und verliert seinen sozialen Status. Interessant ist dabei, dass diese Spannung auf den Bildern zwar markiert, jedoch nicht ausgeglichen wird: Das sozialkritische Potential, das der Gedanke der radikalen Gleichheit aller Menschen im Tod für eine hierarchische Sozialstruktur haben könnte, bleibt in diesen Bildern ungenutzt.

Eine zweite Spannung fällt im Verständnis des Todes selbst auf. Auf der einen Seite wird seine Grausamkeit gezeigt, andererseits gibt es auch immer wieder Motive, die eine gewisse Leichtigkeit im Umgang mit ihm andeuten. Es ist gerade die schonungslose Grausamkeit des Todes, welche die Komposition des Hochzeitbilds so verstörend wirken lässt. Im Hintergrund sitzen die Gäste am gedeckten Tisch. Es ist unverkennbar, dass hier ein freudiges Ereignis gefeiert wird. Und dennoch schaut im Vordergrund ein Skelett dem Brautpaar über die Schulter, während es sich das Ja-Wort gibt. Realismus liegt darin. Es wird deutlich, dass alles in dieser Welt endlich ist, egal wie schön, gut und auf Dauer angelegt es ist.

Momente der Leichtigkeit fallen bereits im Motiv des Totentanzes auf, wie er am Beginn des Zyklus dargestellt wird. Hier scheinen sich sieben Skelette durchaus beschwingt zu amüsieren. Die Bilder des Totentanzzyklus sind Ausdruck einer Lebenshaltung und Frömmigkeit, die das Bewusstsein des Todes (memento mori) und der Vergänglichkeit der Dinge (vanitas) in den Vordergrund rücken. Das Bewusstsein der eigenen Endlichkeit soll dabei Ansporn für die Gestaltung des Lebens in der Gegenwart sein. Stehen wir auf der Spreuerbrücke also vor einem frühneuzeitlichen Äquivalent heutiger YOLO-Caps? Jein. Zwar waren der Gesellschaft des Barocks die Motive von Musse und Verschwendung nicht fern, allerdings zeigt der Totentanz auch, dass im Hintergrund des Aufrufs zur bewussten Lebensführung ein Gedanke endgültiger Verantwortung steht. Dieser wird auf der Spreuerbrücke in sehr drastischen Worten ausgedrückt:

Das letzte Gricht voll forcht und zitter
Macht uns den Tod so herb und bitter
Dess höchsten gwalt und zornig Gstalt
Wyl keiner weisst, wie der Baum fallt.

Ob Angst der beste Ansporn zu einer gelungenen Lebensführung ist? Ich persönlich glaube es nicht. Dennoch halte ich den Totentanzzyklus auf der Spreuerbrücke für ein faszinierendes Fenster in die Weltsicht frühneuzeitlicher Menschen, in ihre sozialen Wirklichkeiten und in ihr Lebensgefühl. Die Fragen, die diese Bilder bearbeiten, bleiben: Was gibt Motivation zu einem guten Leben? Wie gehen wir mit der Endlichkeit des Lebens um? Wir werden sie auf unsere eigene Weise beantworten müssen.

Neugierig auf mehr? Der beste Weg, den Totentanz auf der Spreuerbrücke zu entdecken, ist natürlich ein Besuch vor Ort. So lässt sich der Zyklus in seinem gesamten Ambiente entdecken und erleben. Dank der Plattform ZentralGut besteht die Möglichkeit, hoch aufgelöste Digitalisate der Bilder in Ruhe am Bildschirm und vergrössert zu betrachten. Hier gibt es nicht nur die Bildtafeln selbst zu sehen, sondern auch Transkriptionen der Inschriften und Verknüpfungen zu anderen Materialien. Im Rahmen einer Abschlussarbeit wurden die Daten im vergangenen Jahr von Andrea Jost, einer Auszubildenden an der ZHB Luzern, aufbereitet und verknüpft. Der digitale Zugang und die hilfreiche Aufbereitung laden nun zu vielfältigen eigenen Entdeckungen und dank offener Lizenz zu kreativen Nachnutzungen ein.

Ausgewählte Literaturhinweise:

Zur Geschichte des Bildzyklus vgl. Heinz Horat: Die Bilder der Lebenden und der Toten auf der Spreuerbrücke in Luzern, in: Die Spreuerbrücke in Luzern. Ein barocker Totentanz von europäischer Bedeutung, Luzern 1996, S. 79–93.

Zu Vanitasdarstellungen in der Kunst vgl. Philippe Ariès: Geschichte des Todes, Zürich 1984, S. 418 – 424.

Peter Hersche: Musse und Verschwendung. Europäische Gesellschaft und Kultur im Barockzeitalter, Freiburg i.Br. 2006.

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