Die Villa Miramar – ein chinesisches Honorarkonsulat in Meggen
Es ist der 15. August 1940. Über der britischen Küste und dem Ärmelkanal tobt die Luftschlacht um England und in der Schweiz beginnt sich der Geist des am Rütli-Rapport von General Henri Guisan beschworenen Réduit auszubreiten. Hans Klein sitzt im Wohnzimmer seiner Villa in Meggen und blickt zufrieden auf den Vierwaldstättersee. Soeben hat er die offizielle Bestätigung erhalten. Der Bundesrat hat seine Ernennung zum chinesischen Honorarkonsul für den Kanton Luzern in der Sitzung vom 1. August 1940 (dodis.ch/73011) angenommen. Er steht auf und unternimmt seine erste Amtshandlung als Mitglied des diplomatischen Korps Chinas und montiert ein Schild mit der Aufschrift «Consulat de Chine» an der Einfahrt zu seiner Villa Miramar im Gebiet Seeacker in Meggen.
Wer ist dieser Hans Klein, der auch unter dem Pseudonym «China-Klein» bekannt ist? Und was macht ein chinesischer Honorarkonsul in Meggen während rund um den Globus die kriegerischen Konflikte des Zweiten Weltkriegs und in China selbst ein blutiger Bürgerkrieg wüten? Wozu überhaupt ein chinesischer Honorarkonsul für den Kanton Luzern? Auf diese Fragen suchen wir in diesem Blogbeitrag nach Antworten.
Hans Klein, der Waffenhändler
Hans Klein, deutscher Staatsbürger, geboren in Berlin im Jahr 1879, ist vor dem Ersten Weltkrieg als Kolonialgeschäftsmann in Deutsch-Ostafrika und im Kongo tätig. In den 1920er-Jahren kehrt er nach Deutschland zurück und arbeitet für die Berliner Engelhardt Bank. Er nimmt eine wichtige Mittlerposition zwischen der halblegalen Reichswehr und der wieder an Einfluss gewinnenden deutschen Rüstungsindustrie ein. Seine Geschäftstätigkeit verschiebt sich dann zunehmend in Richtung Ostasien. Als wirtschaftlicher Berater von Hans von Seeckt – der wiederum militärischer Berater des chinesischen Generals und Führers der Kuomintang Chiang Kai-shek ist – beteiligt sich Klein an mehreren deutsch-chinesischen Verhandlungen. Seine geschäftlichen Tätigkeiten ermöglichen es ihm, ein erhebliches Vermögen zu erwirtschaften und gleichzeitig sein privates Netzwerk bis in die höchsten politischen Ebenen auszubauen. Den erwähnten chinesische General Chiang Kai-shek zählt er beispielsweise zu seinem Freundeskreis, was ihm später noch sehr nützlich wird.
Klein verfügt über die finanziellen Möglichkeiten, dass er 1928 in Meggen am Vierwaldstättersee die «Villa Miramar», ein stattliches Anwesen mit Seeanstoss, «zu einem ziemlich hohen Preise käuflich erwerben kann» (CH-BAR#E4320B#1984/29#652*). Im Mai 1931 erhält Klein vom Kanton Luzern die Bewilligung, am Seeufer das bestehende Boots- und Badehaus auszubauen. Während seiner Geschäftstätigkeit in Ostasien, wohnt nur seine Frau Elly in der Villa Miramar. 1932 überschreibt Klein das Grundstück inklusive Villa an seine Frau (auf der Karte ist deshalb auch «Frau Klein» als Besitzerin der Parzelle 387 vermerkt). Was die Vermögenssituation des Ehepaars Klein ebenfalls gut wiedergibt, ist die Tatsache, dass die beiden mit der Gemeinde Meggen einen Pauschalsteuerdeal aushandeln können.
Klein führt auch nach dem Kriegsausbruch zwischen Japan und China im Jahr 1937 seine Waffengeschäfte ideologiefrei weiter. Er hat keine Skrupel Waffendeals bei allen beteiligten Kriegsparteien anzubieten und einzufädeln. Erst 1939, als auch in Europa der Krieg ausbricht, fällt es ihm schwer, seine Frau weiter allein zu lassen. Er zieht sich nach Meggen in seine Villa zurück, eine Rückkehr nach Deutschland ist für ihn gemäss eigenen Aussagen nicht mehr möglich, da er sich aufgrund unterschiedlicher Auffassungen betreffend der deutsch-chinesischen Beziehungen mit dem nationalsozialistischen Regime in Deutschland zerstritten hat (CH-BAR#E2001E#1968/78#10801*). Zum Schutz seiner eigenen Person und um sich eine gewisse Bewegungsfreiheit zu erhalten, organisiert er sich über seine persönlichen Kontakte zu Chiang Kai-shek einen diplomatischen Status.
«Consulat de Chine»
Möglich macht dies seine Ernennung zum chinesischen Honorarkonsul in Luzern. Ein Honorarkonsul ist ein ehrenamtlich tätiger Konsul. Die Person, die als Honorarkonsul ernannt wird, erhält für die Erledigung seiner Aufgaben keine Bezahlung, sondern meist nur die Deckung der anfallenden Aufwände und Spesen. Obwohl die Person deshalb auch nicht zum Beamtenapparat eines Staates gehört, ist sie dennoch Teil des diplomatischen und konsularischen Korps, erhält in der Regel einen Diplomatenpass und (zumindest teilweise) auch juristische Immunität. Konsulate und Honorarkonsulate werden in erster Linie dort errichtet, wo das Entsendeland über eine grössere Kolonie verfügt oder Handelsinteressen gepflegt werden müssen. Die Tätigkeiten eines Honorarkonsuls sind nicht in erster Linie diplomatisch oder politisch, sondern vor allem verwaltend und zur Unterstützung der Angehörigen des Entsendestaates. Die genaue Anzahl der 1940 im Kanton Luzern lebenden chinesischen Staatsangehörigen lässt sich nicht so einfach ermitteln, aufgrund des 1941 in der Volkszählung festgestellten Ausländeranteils von 2,7 % für den Kanton Luzern, wovon die Mehrheit auf die Nachbarländer Deutschland und Italien entfallen, dürfte diese jedoch unbedeutend gewesen sein. Auch die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen China und der Schweiz im Allgemeinen bzw. dem Kanton Luzern im Speziellen sind in den 1940er-Jahren – nett ausgedrückt – überschaubar. Diese Ausführungen deuten bereits darauf hin, dass die Ernennung von Hans Klein ungewöhnlich ist.
Konsularische und diplomatische Akkreditierungen gehören in die Kompetenz des Bundesstaates und stellen eine formelle Kommunikation zwischen Staaten dar. Die chinesische Regierung lässt im Mai 1940 über ihre Botschaft in Bern den schweizerischen Bundesrat wissen, dass die Einsetzung eines Honorarkonsuls für den Kanton Luzern geplant ist. Am 20. Juni 1940 informiert dann das Politische Departement (so heisst bis 1979 das heutige EDA) den Regierungsrat des Kantons Luzern über das Vorhaben der chinesischen Regierung, Hans Klein zum Honorarkonsul von China in Luzern zu ernennen. Zwei Wochen später schreibt der Luzerner Regierungsrat nach Bern, dass gegen die Ernennung keine Einwände bestünden (CH-BAR#E2001E#1967/113#3183*). Der Bundesrat nickt in seiner Sitzung vom 2. August 1940 die Ernennung ohne Diskussion ab und übermittelt der chinesischen Regierung die Bestätigung. Ab diesem Zeitpunkt verfügt China zum ersten und bisher einzigen Mal über einen Honorarkonsul für den Kanton Luzern mit Sitz in Meggen.
Was genau Honorarkonsul Klein im Auftrag der chinesischen Regierung oder für im Kanton Luzern ansässige chinesische Staatsangehörige gemacht hat, ist nicht klar. Es ist offensichtlich, dass sich der beim Nazi-Regime in Ungnade gefallene Waffenhändler einen diplomatischen Schutzstatus organisiert hat. Weder das Politische Departement in Bern noch die Behörden des Kantons Luzern hinterfragen die Ernennung Kleins im August 1940. Das von Hans Klein montierte Schild weckt dann aber zwei Jahre später die Aufmerksamkeit der Bundesanwaltschaft. Der Chef des Polizeidiensts der Bundesanwaltschaft, Werner Balsiger, erkundigt sich im Herbst 1942 erstaunt beim EPD, ob Hans Klein tatsächlich im diplomatischen Dienst Chinas stehe. Walter Stucki, Chef der Abteilung für Auswärtiges und damit oberster Beamter des EPD, antwortet der Bundesanwaltschaft persönlich. Er verweist auf die Ernennung Kleins im August 1940 und führt aus, «Herr Klein hat daher das Recht, an seinem Haus ein Schild mit der Aufschrift CONSULAT DE CHINE anzubringen» (CH-BAR#E4320B#1984/29#652*).
Was läuft in der Villa Miramar?
Es ist nicht das erste Mal, dass gegen Hans Klein ermittelt wird. Die Verdachtsmomente sind vielfältig. In den 1930er-Jahren werden er und seine Frau als mögliche deutsche Spione denunziert und überwacht, in den 1940er-Jahren erhärtet sich der Verdacht, dass Klein an der Verschiebung deutscher Vermögenswerte in die Schweiz beteiligt ist und in den 1950er-Jahren ist es vor allem seine Verwicklung in den Octogon Trust (dodis.ch/12615) die ihn erneut in den Fokus behördlicher Nachforschungen rücken. Trotz vieler teilweise auch sehr deutlicher Indizien kann ihm nie eine Straftat nachgewiesen werden. Meistens verhindert sein diplomatischer Status oder seine zahlreichen prominenten Kontakte gezielte Ermittlungen und Anklagen. Im Gegenteil, es gibt Hinweise darauf, dass sich die ermittelnden Beamten der Bundespolizei die Kenntnisse und Kontakte Kleins zu Nutzen machen wollen und ihn, als «einen der besten Kenner chinesischer und ostasiatischer Verhältnisse», als Informanten einsetzen wollen (CH-BAR#E4001D#1973/126#320*). Rund um die Person Hans Klein und die Villa Miramar kursieren zudem weitere Gerüchte. Von zahlreichen prominenten Besuchern ist die Rede, wirklich bestätigen lassen sich diese allerdings nicht.
Sicher ist hingegen, dass Hans Klein noch im Amt ist, als es 1949 in China zum Machtwechsel kommt. Nach der frühen Anerkennung der Regierung der chinesischen Volksrepublik durch die Schweiz, tritt er im Januar 1950 von seinem Amt als Honorarkonsul zurück (CH-BAR#E2001E#1967/113#3183*). Im Sommer 1952 verkauft Hans Klein seine Villa Miramar an Robert Käppeli (Direktor der Basler Pharmafirma Ciba-Geigy und gemäss Karte vermutlich bereits der Besitzer des Nachbargrundstücks) – «um in seinen alten Tagen und diesen bewegten unsicheren Zeiten mobil zu bleiben» (CH-BAR#E4001D#1973/126#320*). Klein und seine Frau ziehen in eine herrschaftliche Wohnung an der Reckenbühlstrasse in Luzern. Was mit dem Konsulatsschild passiert, bleibt leider ungeklärt.
Dominik Matter, 2. Juni 2025