Gasseziitig Lozärn: Gasseziitig Lozärn

Deskriptive Daten

Zeitschrift

Titel:: Gasseziitig Lozärn

Sammlung:: Luzerner Stadt- und Quartierzeitungen

Dokumenttyp:: Zeitschrift

Erscheinungsort:: Luzern

Signatur:: Z.d 116; F1.pa 144; H 132

Zeitschriftenband

Titel:: Gasseziitig Lozärn

Sammlung:: Zentral- und Hochschulbibliothek Luzern

Dokumenttyp:: Zeitschriftenband

Erscheinungsdatum:: 1999

Bandzählung:: September 1999, No 10

Kanton:: Luzern

Permanente ID:: ark:/63274/zhb1v700

Lizenz:: In Copyright 1.0

Artikel

Titel:: Bosnien: Gehetzt in den Hass

Urheber*in:: Grüninger, Michael

Sammlung:: Zentral- und Hochschulbibliothek Luzern

Dokumenttyp:: Zeitschrift

Strukturtyp:: Artikel

Schlagwort:: Bosnienkrieg

WESER Seite 4 Rn „Jen: Gehe Bas in der a ‘SS +1 Michael Grüninger war in Luzern als Gassenarbeiter tätig, bevor er als Kopilot in Bosnien eingesetzt wurde. 'nzwischen hat er eine 1eue Stelle angetreten. Hier berichtet er von seinen Erfahrungen in Bosnien. Ende letzten Jahres erhielt ich die Gelegenheit, als Kopilot nach Sara- jevo zu gehen. Ich wusste damals nur, dass das weit weg war und doch ganz nahe bei uns. Richtig hatte ich mich nie für den Krieg dort interessiert. Die Menschen waren mir fremd. Ein weisser Fleck auf meiner Landkarte, für mich also eine «No Fly Zone», Tatsächlich ist auf jedem Flug- Kartenmaterial ein Gebiet klar und deutlich als «No Fly Zone» ausge- wiesen, Allerdings nicht wegen ‚meiner Unkenntnis, sondern wegen der Kriege, die hier bis vor wenigen Jahren gewütet haben. Das Land neisst Bosnien und Herzegowina. Im Luftraum in dieser «No Fly Zone», die schematisch wie ein gleichschenkliges Dreieck aussieht, operiert die Let 410 UVP-E der Far- ner Air Transport Basel unter der rahne der Organisation für Sicher- ıeit und Zusammenarbeit in Euro- na (OSZE). Die «No Fly Zone» wird durch die NATO und die Stabilizati- on Force (SFOR) überwacht. Die Rolle der offiziellen Schweiz in diesem Land beruht auf innen- und aussenpolitischen Überlegungen der Regierung, welche die Stellung der Armee in der Schweiz stärken ınd das Ansehen der Schweiz im Ausland erhöhen will. Die Gelbmüt- zen sind für die Selbstdarstellung der Schweiz nötig. Man will mit dem 1elben Beret Fahne zeigen. Zur Gewalt gezwungen Die vielen Kriegsschäden an den Häusern und Strassen zeigten mir auch auf, dass die Entscheidung zur Gewalt nur für wenige frei getroffen st. Die meisten werden, durch die Gewalt eines anderen Mannes zuı Gewalt gezwungen. Gewalt beruht darauf, dass man sie erleidet. Man <ann dann nicht einfach abseits ste- ıen und so tun, als ginge es einem nichts an. Gewalt löst auch keine Konflikte, sondern steigert sie. Das Einzige, was bleibt, ist ohnmächti ger Hass, Resignation oder Rache- gelüste. Man wird förmlich in den Hass gehetzt. Weiterhin bleibt Bos- nien und Herzegowina ein bitterar ‚nes Land, das nach dem Bürger: krieg noch viel Aufbauarbeit leisten Muss, wenn es mittelfristig wieder auf eigenen Beinen stehen will. Yach neuesten Zahlen ist mehr als lie Hälfte der arbeitsfähigen Bevöl- <erung arbeitslos. Die Gesellschaft st völlig durchmilitarisiert. Gewählt wird nur nach Nationalitäten, nicht nach Sacherwägungen. Kriege, so heisst es, werden ge- ührt, um Konflikte zu lösen. Vor Ort konnte ich aber nur feststellen, dass lie Konflikte nicht gelöst worden ;ind. Allerdings hat der Krieg un- :ähligen Menschen, die nicht auf nilitärische Lösungen spekuliert ı1aben, die zivilen Grundlagen eines 3eordneten Zusammenlebens ge- ‚aubt, mit Mord und Todschlag. Glücklicherweise gibt es sie ıoch, die anderen Menschen, die jich nach einem zivilen und ehrli :;hen Leben sehnen. Diesen ande en Menschen die Hoffnung auf eine Zukunft zurückzugeben, wird die jrosse Aufgabe der Zivilgesell- schaft sein. Armeen können sowas nicht. Wer kann’s? Michael Grüninger ie Kriegsschäden in Bosnien sind noch allgegenwärtig. -oto: Michael Grüninge: ınd zu auch runterschauen zu kön- ıen. Bosnien sieht aus wie die ;chweiz: Seen, Täler, viele Hügel ınd Berge, Flüsse und immer wie- ler Siedlungen. Die Strassen win- ‚en sich den Hess tang nd immer wieder steige#ie über ässe. Bei einer solch schwierigen opographie bilden sich im Som- 1er immer wieder heftige Gewitter ber den Bergen, im Winter bleibt ıer Nebel wochenlang 2 Tälern itzen. In einer typisch&” Woche legen wir dreimal Banja Luka an nd einmal Mostar und Tuzla. Wir ‚ansportieren sowohl Personal als ‘uch Fracht, auch die Post interna- ‚onaler Organisationen. ien durch die französische Armee le l’Air wieder instandgestellt. Tuz ı wird von der amerikanischen Air: arce betrieben. Einzig Banja Luka iird von der lokalen zivilen Behör: ıe verwaltet. Immer noch sind die ‚;chäden sichtbar. Auffallend ist ‚ber, wie schnell die Wiederaufbau: ‚rbeiten vor sich gehen. Besonders ‚enn man bedenkt, dass Objekte ınd Land vermint worden waren, nsbesondere um strategische Ziele ı1erum wie Fluaplätzen. Der Krieg in Bosnien war grau: am mit über 150 000 Getöteter ‚nd mehr als der halben Bevölke ung, die aus ihrem gewohnten Le- »en vertrieben wurde. Von dieser, WR Flüchtlingen kamen eini- je 138n in die Schweiz. Wenn man die Kriegsschäden ge- iehen hat, die heute noch allgegen- värtig sind, kommt man nicht mehr auf die Idee zu behaupten, es hand- e“ »bei dieser Flucht um Oppor- ‚uni... ‚us und Schmarotzerei. De: Ipportunismus und die Schmarot: ‚erei ist - wenn schon —- bei gewis jen vor Ort tätigen Internationaler ‚u suchen, die sich die Not zunutze aachen, um sich hier zu profilieren, ‚amit sie in ihrem Ursprungsland ı1araus politischen Profit schlagen :önnen. Hilfe als PR-Methode für lie Reichen, halt so, wie man es von schlechtem Sozialsponsoring im Westen kennt. Paradepferd der Gelbmützen Als nach dem Abkommen von Jayton die internationale Präsenz in 3osnien und Herzegowina aufge- daut wurde, sicherte der damalige Bundesrat Cotti der OSZE zu, dass die Schweiz vor Ort tätig sein wer- de. Es bildete sich die «Swiss Head- quarters Support Unit», die soge- ıannten Gelbmützen, die für die JSZE die Wartung des Fahrzeug- »arkes, die Verteilung der Post, die Sicherstellung medizinischer Dien- ste und die Ausführung von Trans- portleistungen übernommen hat. Die Let 410 ist sozusagen eines der ?aradepferde der Gelbmützen. Durch ihre guten Eigenschaften nacht es die L410 dem Piloten ‚eicht, über der «No Fly Zone» ab Militäraufgebote und Armut Ich war zwar dort als Kopilot, sah ıber über die drei Rangstreifen auf neiner Brust hinweg. Riesige Mi- itäraufgebote (weit über 30 000 )ersonen), Armut, deprimiert-ag- yressive Hoffnungslosigkeit (junge Aenschen, Flüchtlinge) und eitle Selbstbezogenheit (oft die «Interna- jonalen») sind die Schlagworte. Schäden noch sichtbar Flugplätze in Bosnien wurden vährend des Krieges in der ersten lälfte der 90-er Jahre schwer be- ‚chädiat. Sarajevo und Mostar wur- Rückkehr in die helvetische Kälte: Frustrierender Besuch in Zwingli-Town Der letzte Zug ist längst abgefahren, ich stehe nämlich auf dem Abstell- Jleis. Der Hobo — wie einst Jack London — wartet auf die Gelegenheit, um auf Jen letzten Waggon aufzu- springen (Fortsetzung aus jetzter GaZ). Ja, der Hobo war aufgesprungen, wieder auf einen helvetischen Zug, wieder abgebrannt. So abgebrannt, dass er sich nicht einmal ein Billett vom Flughafen Kloten nach Zürich eisten konnte. Ich sass in diesem Zug und fühlte mich entsprechend »eschissen, während ich mich an die vergangenenn Wochen erinnerte: euchten Fühler aus nach mir und 0. Die zwei parkbankhämmernden ichluckspechte, deren durstigen ;chnäbel einfach nie genug kriegen onnten, rollten weiterhin als volle, nenschliche Weinfässer durch die euchtenstadt. Und letztere kam mir or wie ein dunkles Verlies, Ich sagte u meinem teuren Kumpel: Ich muss urück, koste es was es wolle! Zurück 1 meine ostasiatische Heimat. Der 3esitzer der Sprachschule in Thai- and, in der ich manchmal als Eng- schlehrer unterrichtet hatte, versi- .herte mir per Telephon, dass er mir ‚inen Job als Häusermakler anbieten /ürde. Ein verständnisvoller Kaplan und in katholischer Sozialdienst ver- schafften mir ein One-Way-Ticket ‚ach Bangkok. Meine über alles ge- ebten Freunde Maya und Paul trie- en für mich noch zusätzlich Geld uf. Mit 800 Piepen im Gepäck flog >h Ende März gen fernen Osten. Die "ohle war meine ganze Existenz. Ab- oluter Wahnsinn! Aber der Ruf des jaan (der Landesteil, in dem meine 'amilie lebt) klingt laut im Herzen, vie, als ob er einem auf den mächti- jen Schwingen des Passats zu- jetragen wird. Es ist die Zeit der zottesanbeterin angebrochen, in ler sie gleich nach der Begattung ihr A4ännchen verschlingt. Ich verneh- ı1e das wütende Schnauben des Vasserbüffels, sogar wenn dieser ber zehntausend Flugmeilen von ir entfernt ist, und ich hör den Reis vachsen, seh die Reisfarmer, wie sie 'nter sengender Hitze schuften. Der vehmütige Klang der Flöten dringt in nein Inneres und bringt es zum Vi- ‚rieren. Aufgrund der herrschenden Asi- n-Wirtschaftskrise hatten die sia- nesischen Banken die Geldhähne ugedreht, das hiess: Ich sass wie- ler auf dem Trockenen. Nichts mit lem Immobiliengeschäft. Das war ;cht beschissen. So blieb sie mir be- eits zum zweiten Mal nicht erspart: die Rückkehr in die heivetische Käl- ‚e. Am ersten Tag des Songkrans, len thailändischen Neujahresfeier agen, und unter bitteren Abschieds- ränen, die ich und meine Geliebte ‚ergossen, brach ich auf - und es uhr mir nicht weniger hart ein als ı1ıoch Monate zuvor bei meinem er- ;ten Aufbruch. haut ausgerissen und als Skalp ar meinen Gürtel gehängt. Nicht zu fas ;en, was man sich von diesen men schlichen Monstren alles bieten las: sen musste. Aber damit nicht genug: Sogar an meinem Bürgerort wiesen sie mich ab. In diesem Hinterwäldler- und Inzucht-Kaff boten sie mir nicht mal einen Klafter Holz und einen Tel- er heisse Suppe an, stellten stattdes- sen indiskrete, dämliche Fragen, ver- xauften mich für dumm und spielter nir die grosse Verweigerungskomö- lie vor. Wir sind nicht zuständig für ıine Kostengutsprache! Das war mein Bürgerort: Nur ein Zintrag in meinem roten Pass, und ein steckengebliebener Furz einer vor langer Zeit verdauten Rösti ir Rektum von Hinter-Helvetien, wo sich die Füchse schon seit Ewigkei ten Gute Nacht sagen. Bernard Charles Wüest Diesmal war mein Ziel Zwingli "own, was sich als verhängnisvolle: Zehler erweisen sollte... «Was haben Sie sich gedacht, nach Thailand auszuwandern? Warur sonnten Sie mit ihrem Geld nich )esser umgehen? Waaas? Sie woller hre Frau wieder in die Schweiz kom: nen lassen. Hah, sie ist sowieso kei: ıe Schweizerin. Sie sind doch ein 7ürsorgetourist!» So tönte es auf der sozialen Ab- <lärungsstelle. Am liebsten hätte ich liesem weiblichen Schrumpfkopi sämtliche Loden mitsamt der Kopf Wir blickten an diesem grauen Sonntagmorgen auf den nebelver- 1angenen Vierwaldstättersee, dann auf die Reuss, diesem Mikro-Me- song. Vor genau hundert Jahren hat- ;e der einstige thailändische König 7AMA IV diese Stadt mit seinem ho- nen Besuch beehrt. Dionysos streck- : immer noch seine göttlichen. Die nächste Nummer... ...Menschliche Wärme — die Antwort auf die Repression ...Weihnachten auf der Gasse .. ‚Rückkehr in die helvetische Kälte»: Fünfte Folge

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